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Moral und Wirtschaft

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Es gibt kein wirtschaftliches Handeln jenseits der Elemente der Moral. Wenn nun eine christliche Moral insoweit Wirklichkeitsbezug haben will, als sie sich im Verhalten von Menschen zu realisieren vermag, muß es auch eine christliche Moral für die Wirtschaft, besser für den wirtschaftlich tätigen Menschen, geben. Es kann zwar keine katholische Betriebsrechnung geben, wohl aber ein Verhalten des mit Entscheidungen im Rahmen der Betriebsrechnung befaßten Menschen, welches einer sittlichen Qualifikation unterliegt. Da, wo das wirtschaftliche Verhalten (die „Wirtschaft“) das Sittengesetz verletzt, verstößt es gegen die Elemente der christlichen Wirtschaftsmoral. Nun darf aber die christliche Wirtschaftsethik keine Aneinanderreihung von Verboten allein sein, keine Verschachtelung von abstrakten Darstellungen ohne Wirklichkeitsbezug und Bedachtnahme auf die jeweils aktuellen Probleme. Wenn eine christliche Wirtschaftsethik ein wirksames Mittel zur Neugestaltung der Gesellschaft sein will, muß sie dem Leben (und die Wirtschaft ist ein solches Stück Leben) zugewandt sein.

Einer der Altmeister der christlichen Soziallehre, Otto Schilling, legt uns nun eine umfassende Wirtschaftsethik vor, die auf den traditionellen Untertuchungsmethoden und dem Anschauungsmaterial der Vorkriegszeit aufruht. Was die Theologie rum wirtschaftlichen Handeln auszusagen hat, wird im vorliegenden Werk in klassischer Einfachheit gesagt. Nun kann aber eine Wirtschaftsethik nicht konstituiert werden, wenn sie nicht auch das Objekt, an dem sich die moralischen Qualitäten des Menschen zu erproben haben, 2um Gegenstand ihrer Darstellungen macht. Der Autor bringt in Erkenntnis dieser Tatsache daher umfangreiches Material. Leider ist aber zum Teil die Wirklichkeit der Wirtschaft, wie sie der Verfasser analysiert und klassifiziert, nicht die Wirtschaft unserer Zeit, sondern die Wirtschaft (mit ihren vielfältigen Problemen) von gestern. Die soziale und ökonomische Lage, die zur Zeit der Herausgabe von „Rerum novarum“ bestanden und die Formulierungen des Rundschreibens weitgehend bestimmt hat, ist nicht die gleiche gehlieben. Daher halte ich zum Beispiel das allzu starke Betonen des Prinzips der Caritas gegenüber jenem der Gerechtigkeit nicht für durchweg richtig, wollen wir doch die Gesellschaft nicht mehr reparieren, sondern neu bauen. Für einen Neubau etwa der Klassengesellschaft erweist sich aber die Caritas als ungenügend, ist doch in ihr unter anderem die Gefahr des Entstehens eines Patriarchalismus und des Beibehaltens einer im Kern ungerechten Ordnung angelegt. Diese Bemerkung gilt selbstverständlich nur für die soziale Sicht, für die Frage der sozialrefor-matorischen Qualität der Liebestätigkeit.

Im einzelnen wäre zum vorliegenden Buch manches zu bemerken, so zum Begriff des Kapitalismus (S. 95), des Kapitals (S. 91) oder zur Frage der Lohnkürzung (wie sie seinerzeit Lord Keynes vorgeschlagen hat). Eine Sozialreform, die darin besteht, daß man den Lohn der noch immer verproletari-sierten Arbeiter kürzt, um mit dem so erhaltenen Ergebnis Arbeit zu schaffen, kann nicht als positive Sozialreform bezeichnet werden, sondern ist lediglich eine Verlagerung des Elends. Unternehmereinkommen wird mit Unternehmungseinkommen verwechselt (S. 160). Auch ist das Unternehmereinkommen nicht die Differenz aus Reinertrag abzüglich Zinsen für Fremdkapital und Unternehmerlohn. Diesen wieder darf man nicht als „Belohnung“ für die eigene Arbeit des Unternehmers bezeichnen. Im Wirtschaftsprozeß gibt es keine Belohnungen, sondern nur Be-Lohnungen.

Die Einwendungen gegen so manche Stellen des Werkes sollen keineswegs den Gesamtwert des Buches mindern, sondern nur die Position des Referenten andeuten, der meint, daß es nicht die Wirtschaft an sich gibt (die in ihrer Art also geschichtslos wäre), sondern daß die Wirtschaft ein Prozeß ist, dem sich auch die Wirtschaftsethik, soweit sie in der Art ihrer Darstellung vom Materialobjekt beeinflußt ist, anpassen muß. Es gibt daher auch nicht d i e Wirtschaftsethik (es sei denn, man reduziere ihre Grundsätze auf den Dekalog), sondern die Wirtschaftsetliik einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Wirtschaftsraumes.

Wenn man von den einzelnen Bedenken absieht, die in dieser Besprechung in einem hoffentlich nicht mißverstandenen Freimut geäußert wurden, ist das Buch eine profunde Darstellung der Elemente der christlichen Moral in bezug auf die Wirtschaft. .

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