Jenseits von Angebot und Nachfrage

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Ein Skeptiker hat den Unterschied zwischen dem Ethiker und dem Ökonomen einmal so formuliert: Der Ethiker konstruiert eine Wirtschaftsordnung für Heilige, der Ökonom aber für Sünder. Da aber, wie die Erfahrung lehrt, der Heilige die große Ausnahme darstellt, bleibt realistischerweise nur die zweite Alternative.

Mit Tugend bloß kommt man nicht weit. Wer wünscht, dass eine ,Goldne Zeit' zurückkehrt, sollte nicht vergessen: Man musste damals Eicheln essen." So zynisch hat es schon vor zwei Jahrhunderten der Gesellschaftskritiker Mandeville formuliert, und das heißt mit anderen Worten: Vielleicht glaubte man noch im späteren Mittelalter genau zu wissen, worin die "gebührende Nahrung" bestand und wie sie den Einzelnen zugeteilt werden müsste. In der Moderne aber verfügt niemand über dieses Wissen, wie Nobelpreisträger Hayek sagt. Darum braucht es einen Mechanismus, der unabhängig vom guten oder bösen Willen der Menschen funktioniert. Dieser Mechanismus heißt: der Markt. Er funktioniert automatisch und braucht keine ethische Abpolsterung. Ethik mag im Privatleben eine gewisse Bedeutung haben, nicht in den Strukturen der Wirtschaft und im Verhalten eines modernen Managers.

Ich habe diese Frage bewusst provozierend formuliert. Aber sie steht in ihrem Grundgehalt auch heute noch im Raum. Ich muss allerdings sofort hinzufügen: Sie wird auch heute noch durch die Praxis von Unternehmern widerlegt. Und zwar von Unternehmern, die durchaus um das harte Geschäft des Managements wissen, gleichzeitig aber davon überzeugt sind, dass es Werte gibt, die jenseits von Angebot und Nachfrage liegen und trotzdem für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens von Bedeutung sind. Ich darf diese ethischen Imperative im modernen Unternehmertum kurz so formulieren:

1. Wirtschafte sachgerecht! Das heißt mit anderen Worten: Wie in anderen Lebensbereichen, so gibt es auch in der Wirtschaft Gesetzmäßigkeiten, die eingehalten werden müssen, um das Ziel der Wirtschaft zu erreichen: die optimale Versorgung der Menschen mit knappen Gütern.

Zu diesen Gesetzmäßigkeiten gehören zum Beispiel das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Wer sich darum nicht kümmert, wird im Markt scheitern. Oder: das Gesetz der Beziehung zwischen Sparen und Investitionen. Wer glaubt, dass man unbedacht Schulden machen kann, ohne an Rückzahlung zu denken, steuert auf den Konkurs zu. Und ebenso: die Beziehung zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung.

Diese wenigen Beispiele sollen zeigen, dass es in der Wirtschaft Gesetzmäßigkeiten gibt, die man nicht ungestraft übergehen kann. Oder anders ausgedrückt: In der Wirtschaft ist nicht alles möglich. Utopien und Träumereien führen in den wirtschaftlichen Ruin und verursachen nicht nur materiellen Schaden, sondern auch menschliche Tragödien. Darum handelt jeder Unternehmer ethisch, der sich um die Kenntnis der Wirtschaftsgesetze bemüht und sie in seinem wirtschaftlichen Handeln berücksichtigt. Der ethische Imperativ: "Wirtschafte sachgerecht" ist deshalb so bedeutsam, weil man der Ethik vorwirft, sie gehe von Voraussetzungen aus, die es in der Wirklichkeit nicht gibt, und sie stelle Forderungen, die sich nicht verwirklichen lassen.

2. Wirtschafte menschengerecht! Der Soziologe W. Roepke hat es einmal so formuliert: "Die kostbarste Ressource im Unternehmen ist der Mensch". Papst Johannes Paul II. sagt es ähnlich: "Der Mensch geht vor der Sache, die Arbeit vor dem Kapital".

Das heißt: Zweifellos geht es im Unternehmen darum, dass sachgerecht gewirtschaftet wird. Aber es geht wesentlich auch darum, dass der Mensch in seinen Rechten und Ansprüchen ernstgenommen wird, dass seine Fähigkeit zur Mitverantwortung wahrgenommen und ein Stück Partnerschaft angestrebt wird.

Man verstehe diesen ethischen Imperativ nicht falsch. Ein Unternehmen ist keine Sozialeinrichtung und kein Seminar in "human relations". Aber ein Unternehmen ist mehr als ein Roboter, der Produkte auswirft. Papst Johannes Paul II. sagt es so: "Der Zweck des Unternehmens ist nicht bloß die Gewinnerzeugung, sondern auch die Verwirklichung einer Gemeinschaft von Menschen, die auf verschiedene Weise die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse anstreben".

Um es zu wiederholen: "Wirtschafte menschengerecht" steht nicht im Widerspruch zum ethischen Imperativ "Wirtschafte sachgerecht". Es besagt aber sehr wohl, dass Wirtschaften kein bloßes Sachgeschehen darstellt, sondern ein Zusammenwirken von Menschen mit Rechten und Pflichten. Es inkludiert aber ebenso die Einsicht, dass die Berücksichtigung dieser Dimension keineswegs eine bloß ethische Forderung darstellt, sondern dass sie sich auch im Erfolg des Unternehmens niederschlägt. Darum ist die Pflege der "human relations" keineswegs eine humanitäre Leerformel, sondern hat auch wesentlich mit dem wirtschaftlichen Erfolg zu tun.

3. Wirtschafte gesellschaftsgerecht! Es ist auffallend, wie oft man heute von einem "Öffentlichkeitsmandat der Wirtschaft" spricht. Der Wirtschaftswissenschafter Eugen Buß formuliert es so: "Es hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Unternehmer sich nicht mehr nur auf die Lösung rein ökonomischer Probleme zu beschränken haben, sondern, dass sie zugleich ihre Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen Konsequenzen ihres Handelns hinzulenken haben." Es ist ebenso bemerkenswert, wie ein Unternehmen von Weltruf dieses Öffentlichkeitsmandat in seine Leitsätze eingebaut hat. In den Statuten von IBM heißt es: "Wir verfolgen unsere Interessen dann am besten, wenn wir auch das öffentliche Interesse fördern: durch Achtung vor einer kompetitiven Gesellschaft, durch eine qualitative Verbesserung der Gesellschaft, durch Offenheit für soziale Belange".

Man verstehe auch diese Aussage richtig: Ein Unternehmen kann nicht Aufgaben übernehmen, die der staatlichen Autorität zugehören. Aber es gilt auch das andere Wort: Das Gemeinwohl ist ein zu kostbares Gut, als dass es den Politikern allein überlassen werden kann. Darum werden auch die Wirtschaft insgesamt, aber auch die einzelnen Unternehmer Wert darauf legen, dass die Werte der Freiheit, der Menschenwürde und der Gerechtigkeit nicht unterwandert werden; darum werden sie bewußt darauf achten, dass nicht durch eine willkürliche Machtzusammenballung die freiheitliche Gesellschaft und der Wettbewerb in Gefahr geraten; dass nicht neue Formen des Klassendenkens und des Klassenhasses aufbrechen, sondern Mitverantwortung und Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erhalten bleiben; dass aktuelle Sozialprobleme und Fragen der Umwelt nicht bedenkenlos auf den Staat abgeschoben werden, sondern dass sie selber Initiativen zur Vermenschlichung der Gesellschaft setzen. Heute beschränkt sich dieser Öffentlichkeitsauftrag der Unternehmen nicht mehr bloß auf innerstaatliche Aufgaben, sondern erhält eine europäische und weltweite Dimension.

Auch hier gilt die Einsicht, dass die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmer keineswegs bloß eine ethische Forderung darstellt, sondern, dass sie sich auf weite Sicht gesehen auch im wirtschaftlichen Erfolg niederschlägt. Und das vor allem dadurch, dass sie ein gesamtgesellschaftliches Klima des Vertrauens und der Solidarität mitbewirkt, die eine Grundlage und Garantie des wirtschaftlichen Erfolges darstellen.

Der Autor ist em. Professor für Sozialethik an der Gregoriana in Rom und Mitarbeiter der Kath. Sozialakademie Österreichs..

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