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Die Wirklichkeit moralisch machen

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Ethik als angewandte Disziplin ist wieder gefragt -auch von der Wirtschaft (siehe dazu auch FURCHE 12/1986). Doch was kann, was soll sie leisten? Und was nicht?

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Ethik als angewandte Disziplin ist wieder gefragt -auch von der Wirtschaft (siehe dazu auch FURCHE 12/1986). Doch was kann, was soll sie leisten? Und was nicht?

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Wirtschaftsethik ist nach meiner Uberzeugung nicht dazu da, mit Rundumschlägen gegen die Wirtschaft aufzuwarten, also wirtschaftsfeindliche Agitation zu betreiben. Die Wirtschaftsethik hat vielmehr als eine ökonomische Teildisziplin die Aufgabe, dem Wirtschaftspraktiker in seinem Bemühen, moralisch korrekt zu wirtschaften, beratend zur Seite zu stehen.

Die Wirtschaftsethik ist eine angewandte Ethik, und als solche muß sie ein großes Interesse daran haben, ihre Empfehlungen verwirklicht zu sehen. Um mit der Wirtschaft in ein konstruktives Gespräch eintreten zu können, muß die Wirtschaftsethik meines Erachtens zunächst einmal eine Vorleistung erbringen: nämlich mit aller Deutlichkeit anzuerkennen, daß es sich bei der Wirtschaft — ihrer Idee nach — um ein eminent ethisches Kulturgebilde handelt. Menschen in Brot und Arbeit zu setzen und dadurch ihre Lebenssicherung zu besorgen, ist eine ethische Leistung, — und wenn dies in einer freiheitlichen Ordnung geschieht, um so mehr.

Der Wirtschaftsethiker formuliert moralische Sollensforderun-gen in der Absicht, die Moral wirklich und die Wirklichkeit moralisch zu machen. Die jeweilige Differenz von Sein und Sollen auszumessen ist sein kritisches Geschäft.

Es ist aber — so meine ich — ebenso sein Geschäft, herauszustellen, wieviel an Moralität in der vorhandenen Wirklichkeit bereits realisiert ist. Das ist der apologetische Teil seines Geschäfts.

Wirtschaftsethik muß realistisch sein. Sie muß sich — wenn es ihr um Praxis, um Wirklichkeitsgestaltung zu tun ist — darüber im klaren sein, daß ein abstrakter Voluntarismus zwar wohlmeinend ist, aber in der Sache nichts bewegt. Illusionäres Wunschdenken ist nicht nur wirkungslos, sondern auch gefährlich; Stichwort: Systemzersetzung durch Systemüberforderung.

Der Wirtschaftsethiker hat sich auch immer zu fragen, ob durch seine moralischen Forderungen nicht möglicherweise ein größeres Übel heraufbeschworen wird als es das ist, das behoben werden soll. Wenn feststeht, daß die soziale Marktwirtschaft das beste System ist, das wir nach historischer Erfahrung haben (und überall dort, wo frei abgestimmt werden kann, ist man überwiegend dieser Meinung), — wenn dies also feststeht, hat sich der Wirtschaftsethiker zu fragen, ob seine Sol-lensforderungen systemverträgliche, also marktgerechte Problemlösungsverfahren sind. Für den Konflikt von Ökonomie und Ökologie muß dies bedeuten, daß das Umweltproblem über die

Preisgestaltung einer Lösung zugeführt werden muß, — also eine Lösung, die die Funktionsfähigkeit des Marktes nicht beeinträchtigt. Das Konzept: gesunde Umwelt, kaputte Wirtschaft ist keine Problemlösung, sondern nur die spiegelverkehrte Problem-umkehrung des Konzepts: gesunde Wirtschaft, kaputte Umwelt. Daß in industrialisierten Gesellschaften eine kaputte Wirtschaft noch keine gesunde Umwelt macht, sondern im Gegenteil das Umweltproblem noch verschärft, sehen wir exemplarisch an Polen.

Und weiters: Wirtschaftsethik muß mehr sein als bloß die „Watte des guten Gewissens“. Damit sie das ist, muß sie sich auf sachhalti-ges Wissen stützen können. Weil das „gut gemeint“ für ein verantwortliches moralisches Handeln auf jeden Fall zu kurz greift, muß auf den kognitiven Aspekt der Ethik das allergrößte Gewicht gelegt werden.

Die geänderte geschichtliche Situation, in der wir stehen, macht auch eine neue Ethik erforderlich. Die menschliche Praxis hat heute - sowohl wegen der globalen wirtschaftlichen Verflechtungen als auch wegen der enormen technischen Eingriffsmöglichkeiten — eine derartige Reichweite erlangt, daß ein qualifiziertes moralisches Handeln nur mehr mit Blick auf diese Zusammenhänge erfolgen kann und komplexes Handlungswissen voraussetzt!

Ethik ist heute - nach ihrer Gel-tungsrelativierung durch Marxismus, Psychoanalyse und Positivismus — wieder gefragt, und zwar deshalb, weil sie als angewandte Disziplin nachgefragt wird, — sei es von der Biologie, der Medizin, oder - als Wirtschaftsethik — von der Wirtschaft. Ich halte die Wirtschaftsethik für ganz besonders wichtig, nicht weil ich der Meinung bin, daß es in der Wirtschaft unmoralischer hergeht als in anderen Lebensbereichen. Es „menschelt“ dort so viel und so wenig wie im andern Leben auch.

Der Grund, warum ich Wirt-schäftsethik für so überaus wichtig halte, ist ein anderer: Die Ursache, warum der Staat und die Bürokratie die Wirtschaft mehr und mehr durch Vorschriften reglementieren—und damit restringieren — (Konsumentenschutzbe-stimmungen, Börsenaufsichtsbestimmungen, Umweltschutzbestimmungen, Preiskontrollen, etc.) —, die Ursache für diese zunehmende Tendenz ist wohl auch darin zu sehen, daß einzelne Wirtschaftsakteure von sich aus nicht bereit sind, sich an die moralischen Spielregeln zu halten. Moralische Selbstkontrolle ist somit das wichtigste Präventivmittel gegen eine zunehmende staatliche und bürokratische Wirtschaftskontrolle.

Die Förderung der Bereitschaft, sich nicht erst durch gesetzlichen Zwang moralisch pflichtkonform zu verhalten, ist deshalb nach meiner Uberzeugung die wichtigste Vorleistung für die Erhaltung einer freien Wirtschaft.

Sokrates hat vor mehr als 2000 Jahren gemeint: Tugend ist lehrbar. Bis zu einem bestimmten Punkt ist sie es tatsächlich. In den USA hat man sich schon vor vielen Jahren diese Einsicht zu eigen gemacht und hat die Wirtschaftsethik zu einem Pflichtteil der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge gemacht. In anderen Ländern folgt man diesem Beispiel. Wirtschaftsethische Grundsätze in einer anwendungs-orientierten Weise zu beherrschen, sollte meines Erachtens für den Wirtschaftsstudenten so selbstverständlich sein wie die Beherrschung der Kostenrechnung. Nur durch dieses Wissen und durch die Einübung dieses Wissens kann die wirtschaftsethische Selbstkontrolle des künftigen Unternehmers und Wirtschaftspraktikers erzielt werden, die (wie ich vorhin gemeint habe) der beste Garant für die Erhaltung einer freien Wirtschaft ist.

Der Autor ist Universitätsdozent am Institut für Philosophie an der Universität Innsbruck. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus seinem Referat anläßlich der Diskussion „Ökonomie und Ethik“, veranstaltet vom Grazer „Wirtschaftsforum der Führungskräfte“ (vgl. Zusammenfassung FURCHE 13/86).

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