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Psychoanalyse und Synthese der Existenz

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Beziehungen zwischen psychologischer Analyse und Daseinswerten. Von Igor A. Caruso, Verlag Herder, Wien 1952

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Beziehungen zwischen psychologischer Analyse und Daseinswerten. Von Igor A. Caruso, Verlag Herder, Wien 1952

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In der gegenwärtigen Inflation psychologischer und psychotherapeutischer Bücher ist hier ein Werk entstanden, das „wertbeständig“ sein dürfte: eine Einführung in Wesen und Aufgaben der Psychotherapie, die nicht „eklektisch“, sondern wirklich universalistisch, den bleibenden Erkenntnissen aller Richtungen Rechnung trägt, darüber hinaus aber auf Integration des wesenhaften menschlichen Seing gerichtet ist. Es ist nur 6chade, daß (ohne Schuld des Verfassers) für die große Aufgatm der Reintegration der menschlichen Persönlichkeit die fehlerhafte Bezeichnung „e x is t'e n t i e 11 e“ Synthese geblieben ist, die in „essentielle“ hätte umgewandelt werden sollen. Denn im Sinne der Scholastik wünschte auch der Verfasser, das wesenhafte Sein als essentiell zu bezeichnen und nicht in der Terminologie die fundamentale Begriffsverfälschung des Existentialismus festzuhalten.

Der Verfasser geht zunächst aus von einer weit über Freud, Adler und Jung hinausgehenden Deutung des Begriffes der Neurose. Er erblickt deren Wesen in einer Absolutierung des Relativen, einer Relativierung der absoluten Werte. Hieraus resultiert eine „LebBnshäresie“. Er übersieht aber hiebei, keineswegs den Anteil des Unbewußten, der Tiefenpersönlichkeit an der Entstehung der Neurose. Die richtigen Erkenntnisse von Freud werden (jäher anerkannt und verwertet, nur aus der Einseitigkeit eines rein biologischen Aspekts gelöst und eingegliedert in soziale und ethisch-metaphysische Perspektiven, welch letztere Caruso aus eigenem bedeutend erweitert und erjjöht hat. Schon 6ein Schüler Daim hatte darauf hingewiesen, daß der Mensch mit der Abwendung vom wahren transzendenten Gott sich nur „Götzen" schafft und diese „Götzenbildung" ist ein charakteristisches Wesensmerkmal für die Neurose unserer Zeit. Caruso nennt dies die „Relativie-

rung der absoluten Werte". — Bleibt uns also die Aufgabe einer exakten tiefenpsychologischen Analyse neben der geistigen Analyse der „Lebenshäre6ie“ auf keinen Fall erspart, so liegt die wesentliche Aufgabe der Reintegration der Persönlichkeit (der essentiellen Synthese) im „Wiederanschluß an die Hierarchie der wahren Werte", in der Wiederherstellung der „L e b ens o r t h o d o x i e".

Damit hat Caruso in überzeugender Weise dargetan, daß die Aufgabe der Psychotherapie nur im Sinne eiper universalistischen Wissenschaft gelöst werden kann, die vor der Frage nach einer „Hierarchie der Werte“ nicht ausweicht und sie für „unwissenschaftlich" erklärt, wie es der Positivi6mus getan hat.

Darin liegt keineswegs ein „Oktroi einer Weltanschauung durch den Psychotherapeuten, sondern die Aufgabe, dem Neurotiker die Augen für die wahre Wertordnung zu öffnen, ihn fähig zu deren Erkenntnis zu machen. Die Entscheidung, sich diese Werte anzueignen und 6ich ihnen zu unterwerfen oder nicht, bleibt dem Patienten auf jeden Fall und kann ihm von niemandem abgenommen werden.

Was die Frage anlangt, ob Psychotherapie in diesem Sinne eine nur ärztliche Aufgabe ist, gelangt Caruso sehr zutreffend zu folgendem Ergebnis: Wesentlich ist, daß der Therapeut für diese spezifische Aufgabe vorbereitet i6t und die Methodik voll beherrscht.

Daß der Arzt beziehungsweise Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ist, genügt für 6ich allein noch nicht. Um die tiefenpsychologische Analyse zu beherrschen, muß man selbst analysiert sein; das ist eine Forderung, von der unter keinen Umständen abgegangen werden kann. Der Fachpsychologe ist, wenn er selbst analysiert i6t, durchaus als Fachmann anzuerkennn; er muß sich nur seiner Grenzen bewußt sein und die medizinische Diagnosestellung dem Arzt überlassen, wobei er mit Hilfe seiner spezifischen Testmethoden Wesentliches zur psychologischen Diagnose beitragen kann. In den meisten Fällen wird daher in der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Psychologen die richtige Lösung dieser Frage liegen und nicht darin, daß man die Psychotherapie für eine aus-

schließlich ärztliche Aufgabe erklärt. Die Ausschaltung des Psychologen würde zur Einengung führen, das Ziel aber muß eine wirklich universalistische Psychotherapie 6ein.

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