Und welche Religion hat Gott?

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Die Furche-Herausgeber

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Eine Woche in einem "Ashram“ und Yoga-Zentrum auf den Bahamas. Nicht nur aufs erste Hinhören ein seltsamer Widerspruch von spiritueller Anstrengung und Urlaub unter Palmen. Er bleibt auch am Schauplatz, auf "Paradise Island“, in Sichtweite: Hier Rückzug und Konzentration. Dort, wenige hundert Meter entfernt, die riesigen Kreuzfahrtschiffe und die unglaublichsten Hotelburgen. Eine Woche lang erlebe ich den Verzicht auf viele Annehmlichkeiten, den Brückenschlag von Religionen und ein gemeinsames Nachdenken, auch über den Wert des Gebetes.

Im hinduistisch geprägten Tempel des Ashrams berichten Exponenten der großen Religionen über Gemeinsames und Trennendes. Ich bin als Christ in die Runde der Referenten geladen. Vor uns, im Lotossitz, gut 200 meist junge, überwiegend weibliche Yoga-Schüler von überall her. Sie hören, schweigen, singen, beten. Was ich in unseren Kirchen sosehr vermisse, hier erlebe ich es: konzentrierte Sinn- und Gottsuche einer nachkommenden Generation. Seltsam: Buddha, Krishna, die Gottesmutter Maria - alle haben hier Platz. Nicht nur in Statuen und Bildern. "Meinen Jesus habe ich immer auf den Lippen“, sagt mir eine Kanadierin. Längst ist sie aus ihrer Kirche ausgetreten, jetzt arbeitet sie, Mantras rezitierend, freiwillig in der Küche.

Zwischen Toleranz und Glaubensverlust

Immer wieder frage ich mich, was das hier eigentlich ist: Eine geschickte Geschäftsidee? Ein Schmelztiegel religiös erprobter Riten zur Erfüllung unverbindlicher Spiritualitätssehnüchte? "Gott hat keine Religion“, sagt einer der Referenten und zitiert eine alte Erzählung: Als Gott allen Völkern seine großen Wahrheiten enthüllt habe, da sei der Teufel vorbeigekommen - mit dem Angebot, sich um die Durchsetzung zu kümmern. Daraus seien die Religionen gewachsen … Irgendwann verrät mir dann eine Amerikanerin den belastenden Widerspruch in ihrer Seele: Hier die abendlichen Hymnen auf die Hindu-Götter Brahma, Vishnu, Shiva, Ganesha - dort das 1. Gebot ihres christlichen Glaubens: "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Tatsächlich: Wo läuft die Grenze zwischen Toleranz und Glaubensverlust?

"Interfaith-Amigos“

Dann kommen zwei eindrucksvolle Herren und erleichtern die Antwort: ein liebenswerter US-Rabbiner und ein muslimischer Sufi-Mystiker. Gemeinsam spazieren sie am Strand, gemeinsam essen und singen sie. Der 11. September 2001 hat sie zusammengeführt. Jetzt schreiben sie - im Trio mit einem christlichen Pastor - gemeinsam Bücher und laden einander in Synagogen, Kirchen, Moscheen. Nicht um einander zu bekehren oder das Trennende zu überspielen, sondern um voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu beschenken.

Was die beiden im Ashram erzählen, hat nichts mit jenen "Religionsdialogen“ zu tun, die es derzeit so schwer haben, theologisch voranzukommen. Auch nichts mit der Suche nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner. Nein, es ist ihre handfeste Sehnsucht, den religiösen Nachbarn (und "abrahamitischen Bruder“) im Reichtum seiner heiligen Texte, Traditionen und Geschichten kennenzulernen. Um Ängste zu überwinden und um im anderen das eigene aufzuspüren.

"Wenn es höchstes Ziel aller Religionen ist, Liebe und Mitgefühl, Gerechtigkeit und Frieden zu stärken, dann geht das nur miteinander. Das kann keiner alleine tun“, sagen die beiden, die sich lachend "Interfaith-Amigos“ nennen.

20 Stunden Heimflug nach Europa reichten nicht aus, um ihre Worte nachklingen zu lassen.

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