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Was ist ein Klub?

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„Niemals dürfen wir auf die Moral in der Politik vergessen. Jede Demokratie bedarf einzelner Wächter, um gewisse Ideale auch in der modernen Industriegesellschaft hochzuhalten. Wir lassen uns nicht manipulieren, sondern bewahren unseren Sinn, Werte zu erkennen. Eine Demokratie ist keineswegs das Monopol der politischen Parteien. In unserem Land haben die Parteien zu oft versagt und wichen den großen Problemen aus. Es ist daher verständlich, daß viele Staatsbürger jenseits der überholten Strukturen die Erneuerung der Demokratie suchen.“

Dieser Sprecher ist Generalsekretär des einflußreichsten politischen Klubs Frankreichs, 29 Jahre alt, mit einer Deutschen verheiratet. Ein Intellektueller aus Überzeugung, war er früher der Präsident der sozialistischen Studenten Frankreichs.

„Die Partei hat uns ausgeschlossen, aber es ist uns gelungen, weiterhin als einzige Vertreter der sozialistischen Studentenschaft Frankreichs anerkannt zu werden“, lächelt der Gesprächspartner und fragt: „Was ist ein Klub?“

Klub statt Partei

Der Ursprung der modernen politischen Klubs in Frankreich beginnt in den Jahren 1958 bis 1962. Im Mai 1958 hatten die politischen Parteien ihr Unvermögen gezeigt, die Verfassung zu reformieren, um damit die IV. Republik zu retten. Unzählige Staatsbürger wurden von den Parteien zutiefst enttäuscht, die selbst in der Stunde höchster Gefahr in einem sterilen Egoismus verharrten. Aber auch die Gewerkschaften, von einer Art Lähmung befallen, waren kaum bereit, den putschenden Generälen und Obersten standzuhalten.

Da trafen sich Männer von Verantwortung, die am politischen Geschehen interessiert waren, aber mit ihren Parteien nicht mehr harmonisierten. Sie stammten fast alle aus dem linken Lager, waren unabhängige Sozialisten, enttäuschte Kommunisten, christliche Gewerkschafter und Lehrer der modernen Sozialwissenschaften.

Durch ihre Funktionen mußten sie zu einer gesteigerten Form der bürgerlichen Pflichten gelangen, denn sie gehörten einer Aristokratie des Denkens an. Soziologen, Psychologen, Vertreter wirtschaftspolitischer Disziplinen wußten, daß die Apathie des Staatsbürgers jede Demokratie tötet. Tritt dieser Zustand ein, dann erscheint ein Mann, der für alle handelt und denkt. Also sammelten sich diese Persönlichkeiten in Zirkeln, Klubs und Vereinigungen, die wirklich spontan entstanden, und zwar sowohl in Paris wie in den Provinzstädten. Es handelte sich um eine Art Selbsthilfe des Staatsbürgers, der die Aussprache in einer Gemeinschaft sucht, weit ab von den traditionellen Bindungen an Parteien, Freimaurerlogen oder Gewerkschaften.

Die Mitgliedszahl ist sehr verschieden. Der Klub Tocqueville in Lyon zählt 4000 Anhänger, wobei allerdings nur 30 Aktivisten das Leben der Vereinigung beeinflussen. Der bekannteste Klub, Jean Moulin, benannt nach dem ersten Chef der französischen Widerstandsbewegung, kann sich auf 500 Mitglieder verlassen, die sehr bewußt am Leben dieses Klubs teilnehmen. Derzeit gibt es rund 300 Klubs in ganz Frankreich. Ihr Ziel ist, die Parteien und Gewerkschaften zu informieren und ihnen Material zur Verfügung zu stellen. Sie vermeiden es im allgemeinen sorgsam, zu sehr unter den Einfluß der Parteien zu geraten, suchen aber aus Parteien und Gewerkschaften hervorragende Persönlichkeiten für die Mitarbeit zu gewinnen. Der Vizepräsident der zweitgrößten Gewerkschaft C. F. D. T. ist ein eifriges Klubmitglied.

Das Programm von Vichy 1964

Im Jahre 1964 fand in Vichy ein Kongreß aller Klubs statt, der ausgezeichnet vorbereitet wurde. Vor allem galt es, ein Inventar der bestehenden Organisationen zu wagen. 1200 Männer und Frauen nahmen an dieser Zusammenkunft teil. In Vichy wurde ein Fahrplan für die künftigen Studien ausgearbeitet:

1. Die Erziehung.

2. Die Information.

3. Die regionale Demokratie (wir würden sagen: Der Föderalismus).

4. Die Demokratie im modernen Betrieb.

5. Die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern.

6. Europa.

Daneben begannen Politiker, die über keine eigene Hausmacht verfügten, oder als Alleingänger galten, ihre Klubs zu gründen. Ein Mitterand, Hernu, ein Mendes-France, entdeckten die Vorteile dieser Organa sationsform.

Damit entstanden politisch sehr betonte Klubs, die sich in der sogenannten „republikanischen Konvention“ zusammenschlössen; diese wieder stieg zu einer der geistigen Familien der linken Föderation auf. Aber auch die übrigen Klubs fanden den Weg in die Föderation, behielten jedoch ihre Eigenheit, wie der Klub Jean Moulin oder die Reform-bewegung der christlichen Gewerkschalten C. F. D. T., der Klub „Recon-struction“. Diese Organisationen erkämpften innerhalb der Föderation ein Sonderstatut und pochen auf ihre Eigenheit. Als ihr Ziel wird die Überlegung, die Studie, angegeben. Aber auch die 'Gaullisten gründeten ihren Klub, und der langjährige Wirtschaftsminister Buron versucht in seinem „Objectif 1972“ die Reste des M. R. P. zu sammeln.

Welche Probleme bewegen die Klubs in der unmittelbaren Gegenwart? In erster Linie geht es darum, aus der linken Föderation eine moderne Arbeiterpartei zu bilden. Die alten Parteien, vor allem die Hierarchie der Sozialisten, die bereits alle Ansätze des Bürgermeisters von Marseille vernichtet haben, stemmen sich gegen diese Versuche. Mit der Wochenzeitschrift „Express“ hatten die Klubs die Kandidatur Dejerres gegen de Gaulle gefördert und dessen großes Ziel unterstützt, eine französische Mittelpartei zu gründen.

Aber die Klubs fragen weiter: Was geschieht mit den 25 Prozent der Franzosen, die kommunistisch wählen? Ist es zulässig und politisch opportun, ein Viertel der französischen Wähler ins Exil zu treiben und sie seit 1947 vollkommen auszuschließen? Die Klubs haben den Dialog zwischen der linken Föderation und den Kommunisten gefördert, wurden aber in ihrem Eifer merklich abgekühlt. Sie finden die KP unbeweglich und außergewöhnlich doktrinär. Es wird daher ihrer Meinung nach notwendig sein, die Föderation mit einer Jugend des Geistes zu erfüllen, um aus ihr eine Organisation zu schaffen, die in der Läge ist, auch enttäuschte Kommunisten in großem Ausmaß aufzunehmen.

„Wären die Klubs, die linke Föderation in der Lage, die Verantwortung im Staat allein zu übernehmen?“

Mit viel Ehrlichkeit des Denkens wurde diese Frage im allgemeinen verneint.

„Ohne die Kommunisten wäre dies ausgeschlossen. Die französische Linke verfügt über ausgezeichnete und wirkungsvolle Persönlichkeiten. In erster Linie sei Mitterand genannt, der seit 1936 wieder die Einheit der nichtkommunistischen Linken erzielte. Aber wir besitzen nicht die Mehrheit im Lande, selbst die Volksfront hat sie nicht gehabt. Es müßten noch Jahre vergehen, bis wir eine echte Mehrheit haben. Wir können nur Erfolge in einem Regime Stil IV. Republik erzielen. Aber eine solche Unstabilität wird von der Nation entschieden abgelehnt. So treten wir als eine Art von Gewissen auf und versuchen, die politischen Führungsschichten zu beeinflussen.“

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