Die Schwäche im System

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Im Juni hat das Parlament stets eine Reihe von Beschlüssen zu fassen. Doch zahlreiche vorgelegte Materien sind strittig. Einzelinteressen sind der limitierende Faktor für die Entscheidungsfähigkeit des Systems. Die Folgen sind noch offen.

Das Gleichnis, jemand sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht, lässt sich ja auf den Versuch, die politische Lage zutreffend zu erkennen, übertragen: Wegen der Vielzahl der einzelnen, keineswegs kleinen Probleme, erkennt man das große nicht, namentlich die zutage tretende Schwäche des politischen Systems.

Auf den ersten Blick mag die Sache der strittigen Themen der Koalition als zwar schwierig aber immerhin überschaubar erscheinen. Diesen Eindruck vermittelt die Gemengelage um die Mindestsicherung und die Transparenzdatenbank, um den Sparkurs bei den ÖBB und in öffentlichen Haushalten, um die Verwaltungs- und die Schulreform, um die Finanzierung des ORF. Über einiges davon ist jetzt im Juni im Parlament zu entscheiden. Die vermeintlich alles könnenden Techniker der Macht reduzieren die Komplexität der Angelegenheit auf Zahlen, die dann festzulegen seien. Diese Technokraten finden ihre Entsprechung in den großen Vereinfachern in manchen Medien. „Spesen-Explosion im EU-Parlament“ titelt etwa die Krone zur sinnvollen Finanzierung von Denkwerkstätten.

Vereinfachung ist nötig, bleibt schwierig

Diese Medien leisten ihren Beitrag zur Verminderung von Komplexität, indem sie alles in schwarz-weiß, oben-unten oder in ein Sieg-Niederlage-Schema einteilen. Für Grautöne, für Zwischentöne, für Kompromiss bleibt da wenig Platz. Die Schlagzeile ist die mediale Entsprechung jener Schlagworte, wie sie von Populisten und von den Engstirnigen unter den Personal- und sonstigen Interessenvertretern, insbesondere von Parteien, gebraucht werden. Und darin liegt eine der Ursachen für das große Problem, eben die mangelnde Einigungsfähigkeit im politischen System, wie wir sie bald krass vor Augen geführt bekommen werden.

Die Struktur von Parlament und Regierung beruht auf der Wahl von Parteien. Weil diese sowie die Interessenvertreter vermeinen, sich stets durchzusetzen zu müssen, kommen hierzulande Entscheidungen über wesentliche Themen nicht zustande. Personalvertreter sind eine der Ursachen für das Scheitern von Schul- und Verwaltungsreformen. Betriebsräte blockieren Reformen bei den ÖBB, nahezu Gleiches fände sich bei AUA und ORF. An ähnlich stupiden, sturen, dem anderen keinen Erfolg gönnenden Haltungen prallen Reformen im Gesundheitswesen ab, scheiterten der Österreich-Konvent, die Staatsreform und das Projekt einer überarbeiteten, erneuerten Bundesverfassung. Es sind Strukturen und Parteien, die sich im Staate breitgemacht haben, sich aber über Einzelinteressen definieren. Weil sie strikt auf ihrem Kurs bleiben, fehlt dann dem von ihnen gebildeten politischen Entscheidungssystem die Kritik- und die Korrekturfähigkeit. Daher spricht man so oft vom politischen Stillstand, vom sinnlosen Streit, schließlich von der Abwendung des Bürgers von der Politik. Zu offensichtlich geht es nämlich nicht um das Gemeinwohl. Und darin liegt das systemische Problem.

Strategie der Feindbilder und Sündenböcke

Einzelinteressen zu vertreten ist nicht nur legal, es ist legitim, ja notwendig. Die Summe der Einzelinteressen jedoch ist eine Addition von Egoismen, aber noch nicht das Gemeinwohl, keineswegs das Staatsganze, das gesellschaftlich insgesamt Erwünschte. Schlimmer noch. Eine nicht dem Gemein- sondern dem Einzelwohl verpflichtete, nicht auf Kompromiss sondern lediglich auf Durchsetzung bedachte Vorgangsweise betreibt eine Strategie des äußeren Feindes und des Sündenbocks im Inneren. Das erleichtert manchen zwar das, was sie dann für ihr Verständnis von der Welt halten, entspricht aber keineswegs der Komplexität des Themas, ist in einer Demokratie nur beschränkt politiktauglich.

Vieles an dieser Phänomenologie der Politik zeigt sich im Juni, wenn das Parlament gefordert ist, Beschlüsse zu fassen. Je weniger die regierenden Sozialdemokraten und die Volkspartei zustande bringen, je mehr sich Opposition einer Verfassungsmehrheit verweigert, desto dringender werden jene Reformen am System, die sie bisher verhindert haben, und zwar aus Eigeninteresse, nicht des Gemeinwohls wegen.

* claus.reitan@furche.at

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