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Die Democristiani und ihr Führer

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Rom, im Juni

Der Wahlsieg der Democrazia Ghristiana — D, C. — am 18. April 1948 brachte für die innere Zusammensetzung dieser Partei schwerwiegende Folgen mit sich. Die Zahl ihrer Deputierten war so angeschwollen, daß die gechlossene Linie der Partei zu zerreißen drohte, ähnlich wie es nach ihrem großen WahlMeg der MRP Frankreichs aus gleichen Ursachen bei der nächsten Wahl tatsächlich geschah. Viele Deputierte waren auf Listen der DC gewählt worden, die von den Ideen der DC absolut nicht durchdrungen waren. Das Ergebnis war eine sehr verschiedenartige Zusammensetzung der Parlamentsfraktion, eine Ballung von auseinanderstrebenden Kräften, deren Bändigung und Lenkung kn ersten Moment über die Kraft der Parteiführung zu gehen schien. Es war, als habe sich die DC übersiegt. Angesichts des Prinzips der Stimmenfreiheit im römischen Parlament konnte von einer Parteidisziplin in der Parlamentsifrakticm der DC überhaupt keine Rede mehr sein. Die verschiedensten Bestrebungen suchten sich innerhalb der Part Bahn zu schaffen: von den ungestümen Reformatoren des Flügels der jungen Deputierten (Dossetti), von den Propagatoren einer „Dritten“ Kraft zur Sammlung jener demokratischen Kräfte, die sich nicht zur DC hingezogen fühlen (Gronchi), bis zur betonten Rechten (Scelba).

Man kann heute feststellen, daß es dem starken Schwerpunkt der Parteimitte, repräsentiert durch Degasperi, gelungen ist, seine Auffassung über den Weg der Partei durchzusetzen.

Die Kritiker Degasperis hatten in Venedig viele scharfe Pfeile in ihren Köchern: Die Extremisten waren enttäuscht über das zögernde und vorsichtige Vorgehen in der Frage der Agrarreform und der Agrarver- • räge. Degasperi beiharrte auf seiner Ansicht, daß so schwerwiegende Gesetze, die iodie zentrale Frage des Privateigentums eim- schneiden, nicht überhastet gelöst werden dürften. Die Extremisten tadelten seine tolerante und langmütige Haltung gegenüber den Kommunisten, deren Schachzüge nach dem 18. April, besonders in der Zeit der Debatte um den Atlantikpakt, bekannt sind.

Eine Richtung der DC, die durch Scelba repräsentiert wird, tritt hingegen für eine Politik der starken Hand ein. Gewiß, wäre im letzten Jahr ein weniger entschlossener Mann als Scelba auf dem Sessel des Innenministers gesessen, würde sich Italien heute nicht auf dem Wege der innenpolitischen Beruhigung befinden. Scelba — die „eiserne Faust“ nennen ihn die Parteifreunde — erfreut sich innerhalb der DC, aber auch in Kreisen, die der DC wohl nicht als Partei nahestehen, aber an einer ruhigen innenpolitischen Entwicklung des Landes interessiert sind, einer ungeheuren Beliebtheit. Als er in Venedig auf die Rednertribüne stieg, wurde er von einer wahrhaft frenetischen Ovation begrüßt. Als Beweis der Wendigkeit der DC sah man aber über dem Meer der Köpfe ein Spruchband erscheinen, das auf einer Seite Dossetti, auf der anderen Scelba feierte, der innerhalb dar Partei genau die polar entgegengesetzten Ideen des ersteren verkörpert. Scelbas Rede war wie gewöhnlich auf barte Entschlossenheit abgestimmt. Den Kommunismus haben wir geschlagen, aber nicht besiegt, sagte er, denn sein Kraftquell liegt in Sowjetrußland. Es gibt keine wirkliche Entspannung, solange die KPI eine Sektion der russischen Staatspartei ist. Der Kampf gegen den Kommunismus ist eine der ersten, aber nicht die einzige Aufgabe der DC. Der Weg dazu ist die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit, jedoch für alle Bevölkerungsschichten. Doch Scelba vertritt die Auffassung, um deri Kommunismus auf das Terrain der Demokratie zurückzuführen, genügen nicht die Reformen. „Gegen nackte Gewalt gibt es nur eine starke Hand, und die KPI ist den Überredungskünsten einer starken Hand sehr zugänglich.“ Die Extremisten seiner Partei forderten von Degasperi wiederholt das Verbot der KPI, sowohl bei dem Kongreß in Neapel 1947 als auch später in Florenz. Degasperi setzte diesen Wünschen stets sein trockenes „Nein“ entgegen und bestand darauf, weiter mit demokratischen Methoden zu regieren, auch angesichts der Tatsache, mit dieser Taktik sich gegenüber der KPI auf ein ungünstiges Gelände zu begeben. „Solange sich die italienischen Kommunisten nicht gegen die allgemeinen Strafgesetze vergehen, denke ich nicht daran, sie zu verfolgen.“ Togliatti hat in einer Rede über den Prager Kongreß der tschechischen KP, der sich in einem Klima der Freiheit, Freude, Sicherheit und des Vertrauens abgespielt habe, eine Atmosphäre von Intrigen, Kompromissen und Korruption gegenübergestellt, für die er den Kongreß von Venedig brandmarken wollte. Dem Beobachter in Venedig erschien die DC ganz im Gegenteil als eine sehr vitale und kräftige Partei, die klaren, sauberen Linien folgt, die tolerant, ohne Fetischismus ihre Probleme diskutiert mit offenen, wenn auch oft erhitzten Worten, immer aber mit viel Respekt für die Ansicht des Nächsten und einer Duldsamkeit, die nicht so leicht an anderer Stelle zu finden ist. Deshalb ist auch der kommunistische, allerdings auch in anderen Ländern angewandte Trick ein Versager, die Lage so darzustellen, als ob die DC versuche, den Faschismus zu erwecken oder ein ähnliches Regime an seine Stelle zu setzen. Wohl schilug der eine oder andere der jüngeren Deputierten etwas naiv das Beziehen einer isolierten Stellung oder die Anwendung gewisser Methoden vor, die zwangsläufig zur Errichtung eines Regimes führen müssen. Degasperi sagte dazu: „Wir bewundern die Jugend und hoffen viel von ihr, die Jugend muß sich aber ihrerseits der Erfahrung des Alters anvertrauen. Wir akzeptieren eure Peitsche aber nur unter der Bedingung, daß ihr selbst vom Wagen heruntersteigt und euch an die Deichsel stellt. Gebt uns nicht nur Ratschläge, sondern vor allem tatkräftige Unterstützung, und folgt nicht demBeispielder Sozialisten, die sich vor lauter Selbstkritik selbst verstümmelt haben.“ Degasperi spielte damit auf die sich abzeichnende Dreiteilung in der sozialistischen Partei Italiens an, deren linker, von Nenni vertretener Flügel sich bedingungslos an die Kommunisten anlehnt, deren Zentrum, mit Romita an der Spitze, sich nunmehr von der Nenni-Fraktion abtrennen will und deren rechter Flügel unter Saragat bereits die Spaltung vollzogen hat.

Von einer höheren Warte aus kann man überhaupt den Kongreß von Venedig als Sieg der ruhigen und besonnenen älteren Schichten der Partei über die ungestümen Kräfte des Jahres 1945 bezeichnen.

Auf die Vorwürfe des Dossetti-Flügels gegen das Parlament erinnert Degasperi daran, daß mit dem Parlament, auch wenn es nicht allen Anforderungen gerecht werde, die Sache der Freiheit stehe oder falle, daß eine systematische und bewußte Schwächung des Parlaments unweigerlich zur Situation des Jahres 192 2, vor der Machtergreifung des Faschismus, führen müsse.

Die Aufgabe der DC sei nicht, selbst „der Staat“ zu werden, sondern sich an der Seite der anderen Parteien in das verfassungsgemäße Leben des Landes einzugliedern. Wohl bestünden Bindungen zwischen Partei und Regierung, die Partei müsse sich aber darauf beschränken, Anregungen zu geben, während dem Parlament allein die Beschlußfassung, der Regierung die Exekution der Beschlüsse zukomme. Das Programm der Partei sei streng von seiner tatsächlichen Verwirklichungsmöglichkeit zu unterscheiden, ohne sich über die tatsächlichen Kräfteverhältnisse im Parlament hinwegsetzen zu wollen. Auf das Drängen, Parteifreunde in verstärktem Umfang an Stellen höherer Verantwortung zu setzten, erwiderte Degasperi, das Parteibuch verleihe nicht die Fähigkeit, ein Amt zu verwalten — wie Mussolini dies vertrat —, sondern nur Wissen und Können.

Dem österreichischen Proportionalismus dient vielleicht dieser Vermerk für das Stammbuch, wie überhaupt dieser Kongreß von Venedig, wie es dem unbefangenen Beobachter schien, eine hohe Schule der Politik war. Man sah eine wendige, schlagkräftige, jugendliche, unbürokratische Partei auf dem besten Wege, ihre Stellungen zur Konsolidierung des Landes nach allen Seiten zu festigen.

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