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Die größere Kraft

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Das vor dem Forum der Oeffentlichkeit in wahrhaft demokratischer Weise abgewickelte Gespräch über die Arbeiterbewegung beweist durch sein starkes Echo, welches Interesse ihr entgegengebracht wird und welche Bedeutung ihm zukommt. Es wäre allzu billig, nur Kritik an den ernsthaften, wissenschaftlich und praktisch fundierten Meinungen der Autoren üben zu wollen, deren Lauterkeit außer Zweifel steht und ein neuerlicher Beweis für die innere Echtheit ihres Anliegens ist. Die folgenden Ausführungen mögen in ihrer Offenheit dazu beitragen, um über die Analyse des Vergangenen hinweg zu einem klaren Bild der modernen Arbeiterbewegung zu gelangen.

Zunächst noch ein Wort zu den Arbeitervereinen. Diese Vereine waren eine Notwendigkeit geworden und entstanden in fast allen Ländern Europas um jenes denkwürdige Jahr 1891, in dem Papst Leo XIII. in einer Enzyklika den Ruf nach katholischen Arbeitervereinen erhob. Es hieße, die Zeichen der Zeit nicht verstanden zu haben, wollte man Einwände gegen ihr Dasein vorbringen. Diese Vereine erfüllten ihren Zweck jedoch nur teilweise, denn sie waren nicht nach außen gerichtet- Ihre Tätigkeit erstreckte sich meist nur auf den Kreis ihrer Mitglieder, über den sie ihre schützende und bewahrende Hand gebreitet hatten. Und auch dieses aus einer Notwendigkeit und den gegebenen Umständen heraus.

Dr. Hemala hat einmal festgestellt, daß „die Arbeiter im christlichen Arbeiterverein ein mehr oder weniger beschauliches Dasein führten und nicht bereit waren, für die Arbeiterschaft zu kämpfen.“ Sie waren, abgesehen von einigen führenden Persönlichkeiten, nicht Zum Kämpfen erzogen worden. Hiermit kennzeichnet Dr. Hemala unausgesprochen den Mangel der Vereinsform, die Behinderung, teilweise auch die Lähmung der Aktivität.

Die heutige Zeit, die Zeit der „Aktivisten“, wird die Abkehr vom Vereinssystem notwendig machen. Dennoch wird heute, nach wie vor, die Idee der Träger und Antrieb jeder Bewegung sein, gleichwie nach außen das Gewicht der großen Zahl, die Breite der Einflußsphäre und die Motive ihrer Handlungen ausschlaggebend sind.

Die Zeit der klassischen Arbeiterbewegung, der kämpferischen Arbeiterbewegung ist vorbei. Sie .wurde abgelöst durch die Zeit der sozialen Arbeiterbewegung. Das Proletariat von damals, gekennzeichnet' und geprägt durch das Gefühl, vom rechten Platz in der menschlichen Gesellschaft verdrängt zu sein, gibt es nicht mehr. Wohl aber Besitzlose. Was ist der Versuch, zur Eigentumsbildung zu gelangen, anderes, als sozialer Fortschrittsglaube, der Schritt für Schritt verwirklicht sein will? Und er ist christliches Gedankengut, das sei auch der sozialistischen Arbeiterbewegung eindringlichst gesagt.

Es genügt heute nicht mehr, antimarxistisch zu sein. Das ist nur eine Umschreibung für liberal, ein vor dem eigenen Gewissen besser klingendes Wort, um sich der letzten Verantwortung zu entziehen. Das soziale Wort bleibt ohne die soziale Tat eine Blasphemie. Das Christentum ist der Träger aller sozialen Dinge. Wo man das nicht sagen kann, Regt ein grober Strukturfehler vor. Eine Scheidung der Geister würde daher guttun, selbst auf die Gefahr hin, daß sich ein Teil der „Anti-marxisten“ einem vergrämten Winkeldasein hingibt oder vergrämt in Opposition geht.

Auch der sozialistische Part der Arbeiterbewegung ist heute nicht mehr marxistisch, wie es einer ihrer Exponenten in öffentlicher Diskussion bekannt hat. Natürlich mit Ausnahme jenes Teiles der ewiggestrigen Führung, der es sichtlich schwerfällt, ihren Religionskomplex zu verlieren. Jene, die früher gegen die Geschäftemacher zu Feld gezogen sind, beherrschen heute mehr als die Hälfte der österreichischen Wirtschaft. Kann man sich noch mit gutem Gewissen als Arbeiterbewegung deklarieren und zugleich Unternehmer sein? Somit stehen wir vor der Tatsache, daß sich das Prädikat marxistisch-atheistisch in lTberal-merkantilistisch verwandelt hat. Die verbürgerlichten „Organisierten“ verbleiben teilweise aus Tradition in ihrer Organisation oder sie sehen darin ein Schutzkollektiv, das sie trotz seiner Unpersönlichkeit aufsuchen. Oder es steht der „Dankbarkeitskomplex“ im Vordergrund ihrer Mitgliedschaft, andernfalls der Zwang. Man lasse sich aber nicht durch Jonglieren mit Zahlen täuschen.

Nun erhebt sich eine weitere Frage. Genügt es für eine Arbeiterbewegung, sich einzig mit den wirtschaftlichen Verhältnissen zu befassen? Kann aus der Umgestaltung der Produktionsverhältnisse das Wohl des Menschen, abgeleitet aus der Societas perfecta des Staates, garantiert und erreicht werden? Uebersehen wir dabei nicht die Wirklichkeit. Kann eine politische Bewegung, und in diesem Sinne wurde die Arbeiterbewegung bis heute aufgefaßt, Sitten- und Gesinnungsreform betreiben? Mit welchen Mitteln? Es war das große Verdienst des christlichen Arbeitervereines, sich mit der Arbeitsmoral und der rechten Einstellung zur Arbeit befaßt zu haben. Genügt das aber? Nein, es kommen Gebiete hinzu, die allein aus dem pastoralen Bereich in Angriff genommen werden müssen. Sie gehen über den Bereich der politischen Bewegung und deren Einsatz für das nicht zu unterschätzende Wirtschaftliche hinaus. Und mit wirtschaftlichen Dingen wird man keine Arbciterseele gewinnen können, wohl über das Wirtschaftliche. Es wird ein Einsatzpunkt sein.

Die moderne Arbeiterbewegung wird sich mit aller Realität um den ganzen Menschen kümmern müssen. Es werden daher die Religion und alle ihre sittlichen Werte ihren Platz in der Arbeiterbewegung haben müssen, will man nicht auf der Stelle treten oder sich festfahren. Das sei wieder in die linke Richtung gesprochen. Der. belgisch Sozialistenführer S p a a k sagte, es sei „ein Hybris des Sozialismus, daß er sich Dinge anmaße, die nur Kirche und Christentum lösen können“. Die moderne Arbeiterbewegung wird daher allumfassend sein müssen. Sie wird den ganzen Menschen im Auge haben müssen, in dem das Zeitliche und Ewige untrennbar verbunden sind. Auch wenn man es nicht gerne wahrhaben will. Das Fehlen de Religiös-Kulturellen wird von maßgebenden Führern schmerzlich empfunden.

Auch im innerkatholischen Bereich ist die Notwendigkeit der Arbeiterbewegung und ihr neues Gesicht erkannt. Und es wird gearbeitet. Und es erscheint die Möglichkeit, bar jeder Illusion und Romantik, die beiden durch politische Dogmen getrennten Arbeiterbrüder in ihrem Bereich einander näherzubringen. In einer Bewegung, die politisch unabhängig ihren Weg geht. Im großen Rahmen gesehen, ist das kirchenkämpferische Element eliminiert. Es steht vor einem Vakuum. Eine einmalige Chance für das Christentum. In ihm liegt die größere Kraft.

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