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Der Güter höchstesᾠ

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Vor einer Woche war an dieser Stelle von der Organisation des Finanzministeriums die Rede. Heute soll von dem widerspruchsvollen Geist gesprochen werden, der unsere Finanzpolitik erfüllt. Die Konzeptionen der heutigen österreichischen Finanzpolitik (und nicht nur der österreichischen) enthalten Elemente aus der gesamten Entwicklung der Finanzgeschichte. Diese begann im eigentlichen Sinn erst mit der Ablösung des ständischen Feudalismus und Partikularismus durch das absolute Königtum und mit der Entstehung des neuzeitlichen Nationalstaates zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. Das Königtum bedurfte nach außen eines immer größeren stehenden Heeres und nach innen eines immer größeren Berufsbeamtentums und damit auch der Erschließung immer weiterer Finanzquellen. Von den Bürgern wurden höhere und regelmäßigere Leistungen an Steuern, Abgaben und Zöllen verlangt. Daraus ergab sich jedoch auch eine direktere und höhere Verantwortung des Staates für die Untertanen (und für ihre Fähigkeit, Steuern zu zahlen). Der Staat kümmerte sich unvergleichlich mehr als früher um die Förderung von Handel, Verkehr und Industrie. Mehr noch: die Theoretiker des absoluten Staates, die Kameralisten und Merkantilisten, verkündeten den Staat als Ausgangspunkt und Kurator universaler „Glückseligkeit", eine Auffassung, die in allerlei Versionen und Modifikationen später immer wieder bis zur heute geltenden vom Wohlfahrts- und Sozialstaat durchbrach. Mit alldem entwickelte sich auch die Technik einer umfangreichen und mannigfaltigen Finanzverwaltung. Im Jahre 1766 wurde in Österreich zum ersten Male ein Voranschlag für die Einnahmen und Ausgaben des Staates während eines Jahres auf gestellt. Veröffentlicht wurden die Hauptsummen des Staatsbudgets in Österreich zum ersten Male in der „Wiener Zeitung" im Revolutionsjahr 1848.

In dem Maße, in welchem die Bürger mehr7 Steuern zu zahlen imstande waren, wuchs auch ihr Einfluß auf die Verwendung, auf die Gestaltung des Staatsbudgets. Der Staat braucht aber zur Führung der Geschäfte Geld, ehe noch die Steuern einfließen; er verpachtete zu diesem Zweck ursprünglich die Einhebung von Zöllen und Steuern an Private. Später nahm er Anleihen im In- und Ausland auf, für die er mit dem Staatsschatz haftete. Daher der Name Schatzscheine.

Da die Bürger den Staat so abhängig von ihren Geldern sahen, die damals Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts — vorwiegend auf selbständige Weise erworben wurden, empfanden sie die ursprünglich hohen religiösen und ethischen Ziele des Kameralismus als gegenstandslos und die Reglementierung des absoluten Staates als lästigen Zwang. Man sah sich selber als seines Glückes Schmied sofern einem ein Maximum des selbsterworbenen Geldes belassen wurde. „Das Individuum soll frei und selbständig sein, für sich wählen, nicht zu einem von der Staatsgewalt bestimmten Glück gezwungen werden“, verkündete Adam Smith, und Wilhelm von Humboldt sagte in seiner Schrift „Über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates“: „Der Staat enthalte sich aller Sorgfalt für den positiven Wohlstand der Bürger und gehe keinen Schritt weiter, als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig ist; zu keinem anderen Endzweck beschränke er ihre Freiheit.“

K. u. k. Sozialismus

Wir in Österreich haben kaum je die Reduzierung der Staatsmacht erlebt, wie sie in den angelsächsischen Ländern und in Frankreich auf Grund einer vorgeschritteneren politischen und industriellen Entwicklung um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte. Ehe und während der Liberalismus bei uns zum Zuge kam, war er schon wieder von der allgemeinen Entwicklung überholt, in der dem Staat noch viel tiefer eingreifende und umfassendere Aufgaben erwuchsen als je zuvor. Es war charakteristisch für die österreichische und auch für die reichsdeutsche Entwicklung, daß dort in der Finanzwissenschaft des 19. Jahrhunderts starke staatssozialistische Gedankengänge wirksam waren (zum Beispiel bei Menger) und daß „die Hebung der nichtbesitzenden Klasse mit Hilfe der staatlichen Finanzpolitik“ zumindest theoretisch gegen Ende des 19. Jahrhunderts bereits selbstverständlich wurde. Es gehört zu den österreichischen Paradoxen, daß zwei einander scheinbar kraß entgegengesetzte Ideologien stark an dieser Haltung beteiligt waren: die christliche und die sozialistische. Die christliche Haltung besaß — abgesehen vom sozialen Grundgehalt der Religion — ihre sozialen Grundlagen in den antikapitalistischen, feudal-agrarischen Kreisen und in den Handwerkern und Kleingewerbetreibenden.

Komplizierter stellt sich der Anteil des Sozialismus dar.

Siegreicher Lassalle

Sein Ausgehen vom utopischen Sozialismus verband ihn sogar teilweise mit dem Merkantilismus und war durchaus etatistisch auf einen allmächtigen Sozialstaat gerichtet. Im Bürokratenstaat der österreichischen Monarchie stieß die junge sozialistische Bewegung auf starke Hindernisse und bezog daher eine liberalistisch inspirierte Haltung, die sie auch in einen viele Jahrzehnte dauernden Konflikt mit der Kirche brachte. Gleichzeitig aber betrachtete die Arbeiterbewegung — insbesondere in der Richtung Lassalles — in immer stärkerem Maße den auf das Recht des sozial Stärkeren beharrenden Manchester-Liberalismus als ihren eigentlichen Feind und betrachtete ziemlich ausdrücklich den Staat als Bundesgenossen gegen diesen Feind. Marx, der viel konsequenter als Lassalle den Standpunkt vertrat, daß die sozialen Verhältnisse im Kapitalismus durch keine Intervention des bürgerlichen Staates und durch Besteuerung höchstens nur nebensächlich, nicht aber in ihrer Grundlage verändert werden können, und deshalb die Neuaufteilung des Eigentums durch Gewalt vertrat, hat, wie sich im Laufe der letzten Jahrzehnte herausgestellt hat, gegenüber Lasll?,.: unrecjit;, bemalten. Die Arbeiterbewegung hat sich in der Praxis für die Hilfe.des ,,bürgerlichen“ Staates entschieden und wies ihm immer mehr Bedeutung zu. Entscheidender waren hierbei die immer umfassenderen sozial- und wirtschafts organisatorischen Aufgaben, welche dem Staat durch die großen historischen Ereignisse — zwei Weltkriege, eine Weltwirtschaftskrise und die allgemeine, durch die technische und gesellschaftliche Entwicklung bedingte, immer umfassender werdende gesellschaftliche Organisation — gestellt wurden. Und da sind wir nun.

Die so widerspruchsvolle österreichische Finanzkonzeption von 1961 kann nur ganz verstanden werden, wenn man sich erstens des völlig’netien gesellschaftlich-wirtschaftlichen Gefüges, das seit 1945 bei uns entstanden ist, bewußt ist, und zweitens der allgemeinen. von der Gesamtentwicklung auf der Welt diktierten Aufgaben.

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