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Grundsatzpolitik in der Wirtschaft

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In jüngster Zeit hat „Die Furche“ ihre Leser mit einem Problem konfrontiert, das in näherer Zukunft sicherlich zu einem Gegenstand breiter Diskussion werden wird. Es war die Frage gestellt worden, inwieweit sich die Politik der Ersten Regierungspartei durch das Bestreben, möglichst breite Wählerschichten zu erfassen, sowohl in ihrem programmatischen Kern als auch in der Taktik verflacht habe. Das Aufwerfen dieser Problematik gibt Gelegenheit, die Frage auf das Gebiet der Wirtschaftspolitik auszudehnen, was wohl schon deshalb um so wichtiger ist, als es ja gerade die Probleme der Wirtschaftspolitik sind, die heute den größten Teil des politischen Lebens ausmachen.

Während nun in den Fragen der reinen Politik sich die Konturen in vielen Punkten bedenklich verflachen, so daß es für den mit der Politik nicht unmittelbar befaßten Staatsbürger oft schwer wird, die schließlich noch immer vorhandene Kontradiktion in der Politik der Parteien festzustellen, verschärfen sich die Gegensätze auf wirtschaftlichem Gebiet zusehends und werden daher auch — fast muß man sagen, Gott sei Dank! — immer sichtbarer. Soziale Marktwirtschaft und sozialistische Planwirtschaft stehen heute schärfer gegeneinander, und keines von beiden Systemen gelangt wirklich zur Durchführung, weil die Parität der politischen Kräfte dies eben verhindert. Es wäre aber verhängnisvoll, in dieser Tatsache des Lavierens zwischen Konzessionen von hüben und drüben einen begrüßenswerten Zustand zu sehen. Daß es uns allen besser geht als in früheren Zeiten, daß Österreich heute eine wirtschaftliche Blüte efreicht hat, die wir uns zu der Zeit, da die führende Generation von heute in die Politik eintrat, nicht im entferntesten träumen lassen konnten, ist zwar ein angenehmer Zustand, aber er verführt weite Kreise dazu, die konjunkturelle Entwicklung aller Volkswirtschaften der freien Welt mit Wirtschafts p o 1 i t i k zu verwechseln.

Niemand kann dafür garantieren, daß die „Ordnung“ der Verbrauchergesellschaft wirklich imstande wäre, die wirtschaftliche Konjunktur auch wirklich zu stabilisieren. Mahnende Zeichen am wirtschaftspolitischen Horizont der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart zeigen dies bereits an, Der Kurssturz von New York, die in einzelnen Produktionszweigen wegen Sättigung des Marktes sich füllenden unverkauften Warenlager, die durch die Aufwärtsentwicklung der Preise in der ganzen Welt sichtbare Abschwächung der inneren Kaufkraft aller Währungen, die Defizite fast aller Staatsbudgets, die man noch dazu heute auf die leichte Achsel zu nehmen bereit ist, und vieles andere sind Erscheinungen, welche die Wirtschaftssachverständigen der ganzen freien Welt mit ernster Sorge erfüllen.

Aber eben nur die Sachverständigen, während die breite Masse unserer Verbrauchergesellschaft dies nicht bemerkt oder — was noch viel gefährlicher zu bewerten ist — es nicht zur Kenntnis zu nehmen wünscht.

Diese Tatsache aber gründet letzten Endes eben darin, daß matt über dem 14. Monatsgehalt, dem verlängerten Wochenende, dem verlängerten Urlaub, den bisher steigenden Umsätzen, den höheren Gewinnen, dem Siedlungshaus, dem eigenen Auto, der Möglichkeit höherer steuerlicher Abschreibungen von persönlichen Bequemlichkeiten, die Ott nichts mit Betriebswirtschaft zu tun haben, usw. die Grundsätze der Wirtschaftspolitik nur zu gern vergißt. Warum soll man sich, wenn es einem gut geht, schon viel den Kopf darüber zerbrechen, daß die Kaufkraft des Schillings abnimmt, wo mamdoch weiß, daß man diese Entwicklung zu gegebener Zeit durch jeweils stärker werdende Lohnforderungen „auffangen“ kann? Oder wozu sich Sorgen über die zunehmende Ausweitung der Verstaatlichung machen, wenn man etwa in einer Branche tätig ist, die von der Verstaatlichung nicht — noch nicht! — erfaßt wird? Diese Gleichgültigkeit gegenüber den wirklichen Problemen der Wirtschaftspolitik ist es, die zu der oben ausgesprochenen bedauerlichen Erkenntnis führt, daß nicht nur in der reinen Politik, sondern auch in der Wirtschaftspolitik das Grundsätzliche immer mehr in den Hintergrund tritt.

Welches sind diese Grundsätze? Zunächst muß man wieder vernehmlich machen, daß das Eigentum die Grundlage jeder freien Wirtschaft ist. Nicht umsonst und ganz bewußt haben die Schöpfer des Sozialismus das Eigentum zu ihrem Erzfeind deklariert. Die Aufhebung des persönlichen Eigentums, das heißt der Eintritt des Staates in alle Rechte des Eigentümers, ist der Schlüsselpunkt des Sozialismus An dieser Tatsache ändern auch durch jeweilige Gegebenheiten bedingte sozialistische Konzessionen gar nichts. Es bedeutet in Wirklichkeit nichts wenn' die Sozialisten von heute erklären, dafr man nicht'daran denke, persönliches kleine* Eigentum, kleine Betriebe, kleinen landwirtschaftlichen Besitz verstaatlichen zu wollen.Abgesehen davon, daß damit sofort die Frage entsteht, wo „kleines“ Eigentum aufhört und großes beginnt, eine Frage, die man, wenn man könnte, selbstverständlich nach den Relationen jeweiliger politischer Machtverhältnisse beantworten könnte und würde, verstößt man mit der Tendenz zur Verstaatlichung auf jeden Fall gegen die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft.

Um nicht mißverstanden zu werden, sei dieses Problem auch gleich an Hand des Tatbestandes der beiden österreichischen Verstaatlichungsgesetze beleuchtet. Daß wir in Österreich ein Ausmaß an verstaatlichter Wirtschaft erreicht haben wie kein zweiter Staat der freien Welt, geht auf die historische Entwicklung des zweiten Weltkrieges und der sich daraus ergebenden Zwangssituation der unmittelbaren Nachkriegszeit zurück. Der Umstand, daß zum Beispiel die großen österreichischen Stahl- und Hüttenwerke damals sogenanntes „Deutsches Eigentum“ waren und eine Privatisierung in österreichischen Händen — von den damaligen politischen Verhältnissen ganz abgesehen — auch aus ökonomischen Gründen nicht möglich war, mußte eben zu den beiden “Verstaatlichungsgesetzen führen. Das ist nun einmal eine Tatsache und muß als solche hingenommen werden. Es sei auch ohneweiters zugegeben, daß selbst bei wesentlicher Änderung des politischen Kräfteverhältnisses in Österreich eine Reprivati-sierung dieser großen Unternehmungen schon deshalb ausgeschlossen wäre, weil für den Erwerb dieser Betriebe durch Private einfach die finanziellen Mittel nicht vorhanden wären. Stellt man diese Tatsache in Rechnung — und das müssen wir selbstverständlich tun —, so heißt das aber noch lange nicht, daß man das System der verstaatlichten Wirtschaft vergrößern dürfte. Um es anders zu sagen: Was in Österreich verstaatlicht ist, das bleibt, soweit wir vorausschauen können, verstaatlicht. Es stellt einen wichtigen Teil unserer österreichischen Wirtschaft dar und bedarf derselben Behandlung, wenn man Förderung will, wie alle anderen privatwirtschaftlichen Unternehmungen. Was aber nicht verstaatlicht ist, das muß auch in Zukunft in Österreich nichtverstaatlicht bleiben.

Eine Ausweitung der Verstaatlichung durch Gründung neuer verstaatlichter Unternehmungen oder Subunternehmungen sowie durch Übergreifen der verstaatlichten Betriebe auf nichtverstaatlichte Branchen muß unter allen Umständen verhindert werden. Hier aber sind wir schon bei einer der bedeutendsten prinzipiellen Unterscheidungen in den wirtschaftspolitischen Auffassungen in Österreich. Die in der Praxis immer wieder angestellten Versuche des österreichischen Sozialismus, die Verstaatlichung auszudehnen, können nicht geleugnet werden. Man darf dem nur ein unbedingtes „Nein“ entgegensetzen.

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