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„Konzilsrepublik?”

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‘Der folgende Artikel unseres Italienischen Mitarbeiters wurde noch vor dem Rücktritt Leones vertagt. Inzwischen wurde Saragaf mit. der Regierungsbildung betraut. Da Italienische Regierungsbildungen immer lange Zeit in Anspruch nehmen, sind die Befrachtungen unseres Autors nach wie vor aktuell.

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‘Der folgende Artikel unseres Italienischen Mitarbeiters wurde noch vor dem Rücktritt Leones vertagt. Inzwischen wurde Saragaf mit. der Regierungsbildung betraut. Da Italienische Regierungsbildungen immer lange Zeit in Anspruch nehmen, sind die Befrachtungen unseres Autors nach wie vor aktuell.

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Der Parteikongreß der italienischen Sozialisten sollte jenen Strömungen innerhalb der Partei, die eine Übernahme der Regierungsverantwortung zusammen mit den Parteien der „linken Mitte” bejahen, einen Erfolg bringen. Er sollte auch der Zeitpunkt für die Ablösung der Regierung Leone sein. In Wirklichkeit endete der Kongreß mit Tumulten und schweren gegenseitigen Vorwürfen der Teilnehmer. Schon vor dem Ende mußte der alte Routinier Pietro Nenni erkennen, daß es unmöglich war, eine Mehrheit für eine politische Entscheidung über die Regierungsbeteiligung zu finden. Diese zentrale Frage wurde daher dem Zentralkomitee der Partei zugewiesen, seine Wahl war der letzte Akt des Kongresses.

Die wiedervereinigten Sozialisten zerfallen nunmehr in fünf Gruppen, von denen allerdings die radikal linksstehenden Gruppen Riccardo Lombardis und Antonio Giolittis (ein Neffe des gleichnamigen Staatsmannes) im neugewählten Zentralkomitee nur über 51 Sitze verfügen (Lombardi 11 und Giolitti 7 Sitze); das ganze Komitee zählt 121 Mitglieder. Die beiden Linksgruppen sind nicht in allen Fragen einig, aber auch alle anderen Gruppen haben zum Teil weit auseinandergehende Ansichten. Wie kann man nun eine Regierung mit einer derart zerstrittenen Partei bilden? Nenni hat die Abstinenz der Sozialisten beklagt und gewarnt, daß durch die unsichere Situation im Lande nur die Kräfte der Rechten gestärkt würden, ja daß sogar die Gefahr eines Gewaltaktes bestünde.

Die „große Linke”

Bei diesem Punkt mögen in Nenni Erinnerungen an seinen einstigen Parteifreund Benito Mussolini angeklungen sein; die viel ernstere Gefahr für den demokratischen Sozialismus Italiens besteht in den linkskatholischen Bestrebungen zur Gründung einer „Konzilsrepublik”, deren parlamentarische Basis aus den christlich-demokratischen Abgeordneten und den Kommunisten gebildet werden soll. Auf diese Weise möchte man die Sozialisten überspielen. Nur die Gruppe Lombardis möchte diesen Plänen eine vereinigte Linke von den Kommunisten und den Chinesen bis zu den Linkskatholiken entgegensetzen. Diese „große Linke” würde auch die Democrazia Cristiana spalten. Dabei darf man nicht vergessen, daß sich die Politiker der Democrazia Cristiana ihren Wählern als Bollwerk gegen den Kommunismus angepriesen hatten. Trotzdem wurden die Wünsche der Linken, angeführt von dem Abgeordneten Donat Catin, nach einem Einschluß der Kommunisten in die kommende Regierungsmehrheit, von der Parteiführung nicht zurückgewiesen. Ob die Democrazia Cristiana im Falle von nunmehr notwendig werdenden Neuwahlen noch einmal einen Erfolg wie am 19. Mai dieses Jahres erringen könnte, sei dahingestellt.

Kontra Regierung Leone

Die Regierung des Ministerpräsidenten Giovanni Leone ist dm Parlament auf die wohlwollende Stimmenthaltung der Sozialisten angewiesen, aber seit dem Beginn des Herbstes kann sie nicht einmal mehr auf die Stimmen aller Abgeordneten der eigenen Partei rechnen. Die Linke der „DC” steht der Regierung Leone ausgesprochen feindlich gegenüber. Man sieht in ihr die Gefahr eines konservativen Erfolges, den man mit jedem Mittel verhindern möchte. Im Parlament konnte die Regierung weder das Budget für 1969 noch einer Universitätsreform noch andere wichtige Vorlagen durchbringen, da die parlamentarische Arbeit von der Parteilinken blockiert wird. Die Linke verlangt, daß am kommenden Parteikongreß der „DC” alle konservativ eingestellten Funktionäre durch Männer der „fortschrittlichen” Richtung abgelöst werden. In Mitteleuropa gebe es eine einzige Parallele zu diesem Vorgehen, im Funktionärskatholizismus, dort ist das konservative Element weitgehend ausgeschaltet. Ob die Linke der „DC” ihre Pläne wird durchführen können, ist eine andere Frage.

Die Haltung des Klerus ist ungewiß, auch der hohe Klerus zerfällt in einen „progressiven” und einen konservativen Flügel. Ja selbst im Vatikan gibt es Prälaten, die meinen, man könne sich mit den Kommunisten und der Sowjetunion irgendwie arrangieren. „In Italien wird es schon nicht so schlimm werden”, ist ein öfters gehörter Satz. Es fehlt eben ein Anschauungsunterricht, wie ihn der Mitteleuropäer dieses Jahr in seinem Herzland Böhmen erleben mußte. Der niedere Klerus, dessen soziale Lage sehr ungünstig ist, steht den Bestrebungen nach der nebulösen „Konzils- repufolilk” nicht fern. Es rächt sich eben jetzt der sterile Antiklerikalis- mus des italienischen Nationalliberalismus.

Rote Flotte im blauen Meer

Ein anderer Punkt ist die strategisch-militärische Situation im Mittelmeer. Der Aufbau einer sowjetischen Mittelmeerflotte hat in NATO- Kreisen doch mehr Beunruhigung ausgelöst als die sowjetischen Divisionen in Böhmen. Ein Kommando unter einem hohen italienischen Offizier wird in Malta aufgebaut, um die sowjetischen Bewegungen im Mittelmeer zu beobachten. Eine russische Aktion gegen Albanien, die nach Gromykos Rede vor der UNO zu erwarten wäre, da ja ein Austritt aus dem sozialistischen „Commonwealth” nicht gestattet wird und derartige Versuche entsprechend geahndet werden, würde die Situation Italiens fatal verschlechtern. Albanien in sowjetischer Hand würde nicht nur Jugoslawien in der Flanke bedrohen, sondern vor allem Italien. Laut Friedensvertrag darf Italien in Apulien und vor allem an der Straße von Otranto keine militärischen Anlagen errichten.

Sollte eine im Entstehen begriffene „Konzilsrepublik” einen Hilferuf ausstoßen, so könnten sowjetische Kräfte ziemlich ungestört im Raum von Lecce-Brindisi Fuß fassen. Gerade diese Perspektiven könnten aber den von der Linken gefürchteten Stimmungsumschwung in der italienischen Wählerschaft herbeiführen, besonders wenn in Washington ein republikanischer Präsident regiert. Die Partei ist also noch offen.

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