"Wir wollen einen neuen Libanon"

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Er war Hoffnungsträger für einen friedlichen Libanon: Am Montag wurde gebran tueni, Herausgeber der Beiruter Tageszeitung "An-Nahar" und christlicher Politiker, von einer Autobombe ermordet. Christian Rathner interviewte Tueni im Sommer 2005 für die Religionsabteilung des orf-Fernsehens. Die furche bringt - exklusiv - Auszüge aus diesem Gespräch.

Die syrischen Truppen haben den Libanon verlassen, aber die Bomben sind zurück. Ist das ein Zufall?

Gebran Tueni : Haben Sie gehofft, dass die Syrer nach 30 Jahren Besatzung einfach so weggehen? Es ist doch ganz normal, dass sie versuchen, in der libanesischen Gesellschaft Probleme zu erzeugen - um einen Grund zu haben, zurückzukommen. Wir glauben, sie werden weiterhin versuchen, dort und da Bomben zu legen und Politiker zu ermorden.

Trifft dieses Schüren der Gewalt, nicht auch auf die Hisbollah zu? Die soll sich um den Posten des Außenministers in der neuen libanesischen Regierung bemüht haben. Aber ist ein Foto von Condoleezza Rice mit einem Hisbollah-Außenminister vorstellbar?

Tueni: Es ging in der Debatte nicht wirklich um einen Hisbollah-Außenminister, sondern um jemanden, der der Hisbollah nahe steht. Wir glauben, dass das Außenministerium ein sehr wichtiges Ministerium ist. Die Frage ist nicht, ob jemand von der Hisbollah Außenminister wird oder nicht. Es geht darum, die richtige Person am richtigen Ort zu haben: einen professionellen Diplomaten, eine unzweifelhafte Persönlichkeit. Wir wollen keinen Außenminister, der die Berichte zuerst nach Damaskus und dann erst an die Regierung schickt. Vor dem gerade vollzogenen Abzug der syrischen Besatzer aus dem Libanon gingen die Berichte, die der Außenminister von den Botschaftern erhielt, nach Damaskus und an den syrischen Geheimdienst. Der Außenminister hat versucht, für wichtige Hauptstädte der Welt Botschafter auszuwählen, die pro-syrisch, um nicht zu sagen syrische Agenten waren. Wir kannten die Verbindung dieser Botschafter zu Damaskus genau. Jetzt wollen wir dem Libanon ein neues Profil geben.

Wir wollen, dass die Hisbollah an der neuen Regierung teilnimmt, dass sie Teil des politischen Lebens ist. Aber es gibt einen Unterschied, ob man als Partei am politischen Leben teilnimmt oder ob man - zumindest bis jetzt - eine militärische Organisation ist.

Aus Sicht der Amerikaner ist die Hisbollah eine Terrororganisation. Was wir hier sehen, ist aber eine soziale Organisation mit Schulen und Krankenhäusern und Bildungsprogrammen, eine politische Partei - und auch eine Miliz. Was ist die Hisbollah?

Tueni: Alles. Die Hisbollah ist eine sehr gut organisierte politische Partei. Aber sie ist gleichzeitig ein Staat im Staat. Sie hat ihre eigenen Sicherheits- und Geheimdienste. Wenn Sie mit Ihrer Kamera in die südlichen Viertel von Beirut gehen, werden Sie vom Hisbollah-Sicherheitsdienst aufgehalten und nach dem Ausweis gefragt - und nicht von der libanesischen Polizei. Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel, wenn wir von einem unabhängigen Staat mit einer Zentralregierung sprechen.

Die Hisbollah ist eine Partei, die sich in sozialen Fragen stark engagiert und den Menschen im Südlibanon und bestimmten Gebieten des Bekaa-Tales sehr hilft. Sie investiert viel Geld in Bildungsprogramme und Sozialhilfe - und zwar vor allem deshalb, weil sich die Regierung seit 1990 nicht wirklich um diese Probleme gekümmert hat. Ich glaube, das war eine falsche Politik. Aber ich bin nicht sicher, ob sie nicht absichtlich gemacht wurde, damit die Hisbollah diese Regionen durchdringen konnte. Aber Menschen wollen leben. Sie wollen ihre Kinder zur Schule schicken, sie wollen Medikamente kaufen können, sie wollen im Krankenhaus behandelt werden. Hisbollah hat da sehr viel geleistet, und auf eine sehr intelligente Weise.

Ich bin für eine libanesische Hisbollah. Aber wir müssen auch sehen, dass die Hisbollah vom Iran finanziert wird. Wir haben gehört, dass an die 25 Millionen Dollar pro Monat aus dem Iran an die Hisbollah gesendet werden. Ich meine, wenn Sie einer politischen Partei so viel Geld zur Verfügung stellen, tun Sie das nicht ganz umsonst, Sie wollen dafür auch etwas haben. Jeder Partei sollte es verboten sein, vom Ausland finanziert zu werden, ob vom Iran, von den usa, von Frankreich, Italien, egal von welchem.

Gibt es den Verdacht, dass die Hisbollah einen islamischen Staat anstrebt?

Tueni: Ja, selbstverständlich. Das politische System, das die Hisbollah hier einführen wollte, war bis jetzt das der iranischen Republik. Ich habe als Journalist viele Repräsentanten der Hisbollah zu diesem Thema befragt. Die Antwort, die man jetzt meistens bekommt, ist: Wir werden niemals mit Gewalt eine islamische Republik im Libanon einführen. Das heißt aber nicht, dass sie sie nicht wollen. Verstehen Sie? Ich glaube, es steht der Identität des Libanon völlig entgegen, auch nur zu denken, man könne ihn in eine islamische Republik oder auch in eine christliche verwandeln. Für mich als einen Libanesen ist der Libanon ein nicht-konfessionelles, ein nicht-religiöses Land. Der Libanon ist das einzige arabische Land, das keine Staatsreligion hat. Es gibt hier ein konfessionelles System. Aber das wurde eingeführt, um eine Balance zwischen den Konfessionen herzustellen und die Macht zu teilen. Dieses System ermöglicht, das Land auf der Basis eines Zivilrechts zu regieren und gleichzeitig ein Religionsgesetz einzuführen, das nur im Privatleben Anwendung findet. Auf der politischen Ebene haben wir es geschafft, eine Trennung der politischen von der religiösen Macht herbeizuführen. Der Libanon ist ein lebendiges Laboratorium, was den Dialog der Kulturen und der Religionen betrifft.

Ein zweites Problem: Der Libanon ist ein arabisches Land. Und die arabischen Länder anerkennen den Staat Israel. Das bedeutet nicht, dass wir Frieden hätten, wir befinden uns noch immer im Kriegszustand mit Israel. Aber wie die anderen arabischen Länder glauben wir nicht, dass Israel verschwinden soll. Die palästinensischen Behörden, die plo und Arafat haben entschieden, Israel anzuerkennen - und die Existenz zweier unabhängiger Staaten. Das ist im Falle Iran und Hisbollah nicht der Fall. Sie denken, der Staat Israel sollte eigentlich nicht existieren. Und das wird noch Probleme verursachen. All diese Fragen sollten unter Libanesen, an einem libanesischen runden Tisch, diskutiert werden, ohne ausländische Einmischungen. Syrien zum Beispiel würde die Libanesen gerne streiten sehen, unfähig, eine Vereinbarung zu treffen, sodass es sich wieder einmischen könnte.

"Als Journalist ist man im Libanon in Gefahr"

Ob er auch selbst in Gefahr sei? Ja, sagt Gebran Tueni, er sei in Gefahr. Das sei eben das Berufsrisiko, wenn man im Libanon Journalist sein wolle. - Ausgangspunkt des orf-Interviews im Juli war die Frage der künftigen Rolle der Hisbollah im nunmehr unabhängigen Libanon. Die schiitische Hisbollah oder "Partei Gottes" ist mit iranischer Unterstützung im Widerstand gegen die israelische Besatzung des Südlibanon entstanden. Tueni unterstützte ihre Transformation zu einer politischen Kraft, verlangte aber, gestützt auf die un-Resolution 1559, ihre Entwaffnung. Sein Ziel war ein nicht nur auf dem Papier unabhängiger Libanon, sondern ein für das Zusammenleben von Religionen und Konfessionen vorbildliches Land, fähig und willens, die Probleme und Konflikte ohne Einmischung von außen zu lösen. Dass er sich bei seinem Einsatz mächtige Feinde gemacht hat, ist dem Vater von vier kleinen Kindern jetzt zum Verhängnis geworden. Schon als 18-Jähriger wurde der 1957 geborene Tueni mit dem Schrecken des Kriegs konfrontiert: Palästinensische Kämpfer schossen ihm 1976 in die Beine, ein Jahr später kidnappten ihn christliche Milizen. In den 90er Jahren ging er ins Exil nach Frankreich. 1999 - zurück im Libanon und Parlamentsabgeordneter - übernahm Tueni die Leitung von "An-Nahar", einer der besten Tageszeitungen des arabischen Raums. In seiner Zeitung veröffentlichte er im März 2005 auch jenen Aufsehen erregenden Leitartikel, in dem er den Abzug der syrischen Truppen verlangte.

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