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Ist Intervention immer des Teufels?

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J£J-J las nicht ohne eine gewisse Verblüffung die zum Teil massiven Belehrungen, die Frankreichs Ministerpräsident dieser Tage über sich ergehen lassen mußte. Hat Giscard d'Estaing wirklich nur einen imperialistischen Alleingang versucht, hat er tatsächlich die europäische Zusammenarbeit auf eine harte Probe gestellt, als er erklärte, Frankreich sei bereit, Truppen für eine Friedensmission im Libanon zur Verfügung zu stellen?

Friedensmission oder bewaffnete Intervention, oder wie immer man das, was Giscard dem Libanon, respektive einem Teil der Libanesen, anbot — die Verteufelung dieses Angebotes war fehl am Platz oder zumindest weit übertrieben. Jene, die, in und außerhalb des Libanon, erklärten, eine Rückkehr der Großmächte zu ihrer Rolle als Weltpolizei sei unmöglich, mögen durchaus recht haben. Doch angesichts der Verfassung, in der sich der Libanon und seine Hauptstadt heute darbieten, scheint es mir unmöglich, das Ende jeder Weltpolizei als Fortschritt zu begrüßen, unmöglich selbst dann, wenn an der absoluten Lauterkeit der Motive für den Eingriff von außen gezweifelt werden muß. Denn nach Zehn-, wenn nicht Hunderttausenden von Toten in einer Stadt, die einst eine der schönsten des Nahen Ostens war, nach ihrer Verwandlung in ein Leichen- und Ruinenfeld scheint mir eines über jeden Zweifel erhaben: Daß sich all die ungezählten Zivilisten, die, in Kellern verkrochen, bisher das nackte Leben retten konnten (und sicher auch ein guter Teil jener, die zur Waffe kamen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind), nur nach einer Wiederholung jenes bald zwei Jahrzehnte zurückliegenden Tages sehnen können, an dem einst die Landungstruppen der Sechsten US-Flotte die libanesische Küste betraten, um einen freilich vergleichsweise sehr viel harmloseren innenpolitischen Konflikt (aber wer weiß, wohin er den Libanon schon damals geführt hätte) gewaltsam beizulegen.

Die syrische Intervention ist erfolgt, weil eine Intervention, sowohl um die Massenschlächterei zu beenden, wie auch durch die vom libanesischen Machtvakuum ausgehende Versuchung, erfolgen mußte. Genau jene, die noch vor einer Woche das von anderen libanesischen Interessenten begrüßte französische Interventionsangebot mit der reichlich illusionären Begründung, der Libanon müsse seine Angelegenheiten selbst regeln, ablehnten, sind heute die bevorzugten Opfer der syrischen Intervention.

Es ist wahrscheinlich, daß Frankreich mit seinem Angebot auch national-egoistische Interessen verfolgte — bei Assad ist noch unsicher, ob ihn auch friedensfreundliche Motive leiten. Man spricht in diesen Tagen, anklingend an den jordanischen „schwarzen September“, von schwarzen Pfingsten für die Palästinenser. Ob sie im Gefolge einer französischen Intervention so schwarz ausgefallen wären?

Es ist durchaus möglich, daß es im Westen Kräfte gegeben hat, die gerade wegen dieses in letzter Zeit durchaus vorhersehbaren mörderischen Effektes für die Palästinenser einer syrischen Intervention gegenüber der französischen den Vorzug gaben. Wie sich der Schlußakt des Gemetzels — hoffentlich ist es einer — auf die Chancen einer kaum mehr erhofften politischen Generalbereinigung im Nahen Osten auswirkt, kann heute (vielleicht außer Assad) niemand sagen. Eben deshalb vermag niemand abzuschätzen, ob, in Anbetracht der weiteren Entwicklung, die französische Intervention günstiger gewesen wäre als die syrische. Diesbezügliche Zweifel mögen nicht Ausdruck von Zynismus, sondern von Realismus sein.

Doch Giscards westeuropäische Zensoren vergessen, daß außer Assad und Giscard sich niemand der heißen Kartoffel auch nur nähern wollte. Jene Europäer, die nach Giscards Angebot mißmutig monierten, der französische Regierungschef hätte sie wenigstens fragen können, hätten sich vorher für eine solche Frage mit Sicherheit höflich, aber bestimmt bedankt. Das Massaker im Libanon aber war und ist in erster Linie längst nicht mehr eine politische, sondern eine menschliche Herausforderung, der sich niemand gewachsen gezeigt hat, denn nur die Passivität einer die Selbstabschlachtung eines Volkes interessiert beobachtenden Welt ermöglichte ein derartiges chronisches Massaker. Wer wirklich versucht hat, es zu beenden, werfe auf Giscard den ersten Stein.

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