Versöhnung in der Bombennacht

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Während der Nahe Osten erneut mehr und mehr zum Synonym für Terror wird, lernen 100 arabische Kinder und Jugendliche Toleranz im Caritas-Friedenslager in Beirut.

Bilder voller rot-weiß-roter mit grüner Zeder besetzter Fahnen gingen in den letzten Monaten vom Libanon aus um die Welt: Symbol für die "Zedern-Revolution, für politischen Neubeginn und die Freiheit vom Besatzer Syrien. Insofern passt der Nationalabend libanesischer Kinder und Jugendlicher beim Caritas-Friedenslager in Bikfaya bei Beirut ins geläufige Bild: libanesische Fahne, Hymne, Tänze ... Doch ein großer Unterschied prägt den letzten Freitagabend: Syrische Kinder und Jugendliche können gleichberechtigt auch ihre Fahne, ihre Hymne und ihre Tänze vorstellen. So wie an den Abenden zuvor die insgesamt 100 jungen Friedenscamp-Teilnehmer aus acht arabischen Staaten, zwei Religionen und zwölf Konfessionen ihr Land und ihre Tradition präsentieren durften.

Gefährdete Friedens-Oase

"Den eigenen Standpunkt, die eigene Kultur und Herkunft finden und annehmen", sei eine wichtige Voraussetzung für die Friedensarbeit, kommentiert Diane Hendrick Sinn und Zweck dieser Nationalabende. Umgang mit Zorn, Unterschiede zwischen Individuum und Gruppe und die Visualisierung von Frieden sind weitere Lernschritte, zu deren Vermittlung die Trainerin für Gewaltfreiheit vom burgenländischen Friedenszentrum Schlaining nach Beirut gekommen ist. Und die drei Wochen Lager und dieser libanesisch-syrische Abend lassen Kinder, Jugendliche und Betreuer vergessen, in welch unsicherer Region und in welch unsicherer Zeit ihr Oase der Versöhnung blüht - bis der dumpfe Knall einer Autobombe die traurige Realität in Erinnerung ruft und der libanesischen Betreuerin Rita Mattar die Bemerkung entlockt: "Wir bemühen uns um Frieden, und nur ein paar Kilometer weiter machen sie alles wieder kaputt."

Keine Panik, aber Wut

Von der in den Nachrichten berichteten Panik nach dem Bombenanschlag am Freitagabend ist am Samstag im betroffenen Beiruter Stadtteil Achrafieh nichts mehr zu merken: Die zwölf Verletzten haben die Krankenhäuser bereits wieder verlassen. Nur die Glasscherben Hunderter Fensterscheiben zeugen noch von der Wucht des Anschlags; neben dem zerfetzten Bombenfahrzeug und zwei weiteren ausgebrannten Autos sind Soldaten postiert, der Verkehr wird umgeleitet, Fußgänger dürfen passieren. Die Galeristin Valérie Chevolleau sperrt ihre Schauräume wenige Gehminuten vom Ort des Anschlags entfernt gleich nach dem Aufsperren wieder zu: "Ich gehe zum Strand", sagt sie, "heute kommt sowieso niemand mehr." Für Chevolleau ist klar, dass der syrische Geheimdienst hinter diesen Anschlägen steckt - "die wollen die Touristen aus Beirut vertreiben, die wollen uns wirtschaftlich ruinieren", sagt sie.

Der Weg ins Stadtzentrum führt am "Platz der Märtyrer" vorbei. Hier haben im Frühjahr die Demonstrationen Hunderttausender Libanesen schlussendlich zum Abzug der syrischen Truppen geführt - an diesem Tag nach dem neunten Bombenanschlag in einem halben Jahr ist der Platz menschenleer.

16O Tage nach Hariris Tod

Daneben, unter Zeltplanen und mit weißen Blumen geschmückt, ist nach wie vor der Sarg des am 14. Februar durch einen Bombenanschlag ermordeten früheren Premiers Rafik Hariri aufgebahrt. Unzählige Fotos, die Hariri mit Helm und Schaufel in der Hand als Erbauer eines neuen Libanons zeigen, ergänzen die Szenerie. Menschen sind aber auch hier, so wie später in den Fußgängerzonen der Stadt, nur wenige anzutreffen - stattdessen sticht eine digitale Anzeige neben dem Sarg ins Auge: Zu Mittag springen die Ziffern von 159 auf 160 um - wie ein umgekehrter Countdown werden die Tage seit Hariris Tod gezählt, so als ob sich das Land jeden Tag vergewissern will, dass es den mit der Hariri-Ermordung eingesetzten Reformprozess nur ja fortsetze.

Neubeginn, aber wohin?

"Libanon erlebt zweifellos einen Neubeginn", sagt der österreichische Botschafter in Beirut, Georg Mautner-Markhof, doch "wohin dieser das Land führen wird, ist nicht sicher." Mautner-Markhof hofft, dass die ambitionierten Reformprojekte "nicht bei den Worten hängen bleiben". Denn erst wenn wirkliche Anstrengungen gegen die Korruption, gegen den ausufernden Proporz und für eine Justiz- und Wahlrechtsreform unternommen werden, sei die Europäische Union bereit, die "beträchtlichen" für den Libanon reservierten Geldbeträge auch tatsächlich zu überweisen.

Das Caritas-Friedenslager nennt der Botschafter "unser wichtigstes Kooperationsprojekt in der Region". Bedauerlicherweise, sagt Mautner-Markhof, ist der Libanon kein Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, umso wichtiger seien langfristige Initiativen von ngos. Zum sechsten Mal hat heuer das Caritas-Friedenscamp stattgefunden. Letztes Jahr war der Versöhnungs- und Toleranz-Tross in Ägypten, nächstes Jahr zieht der Salzburger Initiator und Organisator Stefan Maier samt Team weiter nach Syrien: "So viele Nationalitäten, so viele Konfessionen leben hier so nah zusammen", erklärt der Caritas-Nahostkoordinator seine Motivation für diese Versöhnungsarbeit, "aber kaum einer kennt den anderen." Doch nur "besseres gegenseitiges Verständnis, mehr Toleranz und der Abbau von Feindbildern" werden zu Frieden im Nahen Osten führen, ist Maier überzeugt.

Die Nachricht von der Bombenexplosion lässt die Kinder nicht ungerührt. Mit großen Augen und offenem Mund stehen sie neben ihren Betreuerinnen und Betreuern, als diese die Details des Anschlags diskutieren. Nachher gehen zwei Mädchen, ein libanesisches und ein syrisches, Arm in Arm vom Hof in ihren Schlafsaal - und am nächsten Tag wird ein Kind in einem Brief schreiben: "Wir sind aus verschiedenen Ländern hergekommen, aber bei diesem Lager haben wir gesehen, dass wir Freunde sein können."

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