Entsendet, verwendet, vergessen

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Afghanistan - Türkei - Persien - Irak: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereiste der bayerische Gelehrte Oskar von Niedermayer Länder, die heute im Zentrum des Weltinteresses stehen. Ein Zeitzeugnis deutscher Orientpolitik.

Heute jedenfalls sind Oskar von Niedermayer und die Geopolitik des Deutschen Reiches vergessen ..." schreibt der Autor am Ende einer umfangreichen Spurensuche, mit der er seine Behauptung widerlegt hat.

Zwar wird man kaum jemanden finden, der auf Anhieb mit dem Namen des bayerischen Abenteurers und Gelehrten etwas anfangen kann. Aber wer sich durch das Buch mit seinem langen Personen- verzeichnis und den Quellenangaben auf vielen Seiten Fußnoten gekämpft hat, muss feststellen: Hans-Ulrich Seidt, im Hauptberuf deutscher Diplomat, hat ganze Arbeit geleistet, um Niedermayer dem Vergessen zu entreißen.

Auf nach Persien

Leicht ist es nicht, die ganze Vielfalt eines Lebens zu begreifen, das nur 63 Jahre währte. Der junge Leutnant konnte in seiner Garnisonsstadt Erlangen nebenbei studieren: Zum Geologie-Studium lernte er Sprachen: Englisch , Russisch, Arabisch, Türkisch... Die Tradition Alexander von Humboldts war damals schon von der freien Forschung zur Verknüpfung der Geographie mit Geopolitik und außenpolitischen Interessen des Kaiserreichs gediehen. Mit seinen ersten Expeditions-Plänen überzeugte der 25-jährige Leutnant Niedermayer die Geographie-Professoren und die reiche und viel gereiste Prinzessin Therese von Bayern. Sie war eine großzügige Sponsorin und half auch, bürokratische Hindernisse zu überwinden.

Zusammen mit dem Österreicher Ernst Diez brach er im September 1912 von Wien aus in den Orient auf. Die Ausrüstung hatte teilweise das k.u.k. Kriegsministerium beigestellt. Schwerpunkt war Persien, man kam auch durch die damals türkischen Mittelmeer-Anrainer, durch Bagdad und das Kaukasus-Gebiet.

Oskar von Niedermayer machte sich mit Ländern vertraut, die plötzlich wichtig wurden, als 1914 die Türkei an der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg eintrat. Lange vor dem Krieg hatte man in Berlin Pläne geschmiedet, wie dem Britischen Weltreich von Indien aus beizukommen sei. Treibende Kraft war Max von Oppenheim aus der bekannten Kölner Bankiers-Familie. Und schon im Herbst 1914 war Niedermayer unterwegs nach Afghanistan.

Es ist nicht leicht, sich in den verschiedenen Orient-Aktivitäten des Deutschen Reiches zurechtzufinden. Mancherlei (mitunter rivalisierende) Gruppen mussten zwangsläufig ohne Kontakt mit Berlin operieren: Dort waren die Fachleute rar und die Nachrichtenverbindungen bescheiden.

Zeiten des Kräftespiels

Das Kräftespiel von Briten, Russen, Türken war ein Kapitel in der Geschichte des Ersten Weltkrieges, das Spezialkenntnisse erfordert. Es ging darum, von Mittelasien aus das Britische Weltreich in Indien zu destabilisieren. Große Erfolge ergaben sich nicht. Aber selbst der verlorene Krieg konnte die Führung der Reichswehr noch 1920 nicht von solchen Planspielen abbringen.

Niedermayer neigte nach der Revolution von 1917 zu Russland. Als die ersten Fäden zwischen Reichswehr und Roter Armee gesponnen wurden, war er dabei. Dann hatte er einige ruhige Jahre der Lehrtätigkeit in Berlin. Im Zweiten Weltkrieg war er wieder Berater in Orient-Fragen, wurde dem HitlerRegime gegenüber immer skeptischer und war vor allem über den Krieg gegen Russland (dessen Ideologie ihn gleichgültig ließ) empört.

Nach Verwendung auf Kriegsschauplätzen in Slowenien und Italien wurden seine Erfahrungen dann auf ganz anderem Gebiet nutzbar: Als die Alliierten 1944 in der Normandie landeten, stellten sie bald fest, dass ihnen nicht nur deutsche Soldaten gegenüberstanden.

Gut zu gebrauchen

Bis zu 20 Prozent waren Russen, Polen, Tschechen, Kroaten und Angehörige von Turkvölkern - in deutschen Uniformen. Bei der Organisation dieser Hilfskräfte hatte man Niedermayer wieder gut gebrauchen können.

Bei Kriegsende befand sich Nie- dermayer in Westböhmen und hatte die Wahl, sich den Amerikanern oder den Sowjets zu ergeben. Diesmal wurde ihm seine russophile Einstellung zum Verhängnis. In Moskau konnte und wollte sich niemand mehr an die alte Kameradschaft mit der Reichswehr erinnern. Zu den üblichen 25 Jahren Haft verurteilt, starb er schon 1948.

Wer sich von den allzu vielen Einzelheiten nicht irritieren lässt, wird die Parallelen von Niedermayers Bestrebungen zur Gegen- wart kaum übersehen können. Die Anziehungskraft des Orients hat sich seit Alexander dem Großen kaum verändert. Das sichere Wissensfundament für den Umgang mit exotischen Ländern und Menschen wird nur wenigen zuteil.

Berlin, Kabul, Moskau

Oskar Ritter von Niedermayer und Deutschlands Geopolitik

Von Hans-Ulrich Seidt

Universitas Verlag, München 2002

510 Seiten, geb., e 25,60

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