Finden und Gefunden-werden

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Christine Pitzkes experimentiert mit Blogs.

Eine berufstätige Mutter, Karoline, und ihr teilweise getrennt von ihr lebender Partner werden von einem alten Freund aufgefordert, den Urlaub mit ihm und einer Gruppe zu verbringen. Er hat alle Teilnehmer ausgewählt, schräge Vögel, Sammler, Schauspieler, Lebenskünstler, um einem reichen Mann den perfekten Heimatort für sich und seine Familie zu finden. Für ihn sollen Süddeutschland, der österreichische Böhmerwald, das Friaul durchwandert werden, mit Erzählungen und willkürlichen Begegnungen mit Einheimischen garniert.

Es geht darum, Fremdes vertraut zu machen, indem man es zu Fuß durchquert und mit den richtigen Worten festredet. Das ist schon der gesamte Inhalt. Der Schluss ist dramatisch und unerwartet, wie in einer Fabel lässt Pitzke den Leser zurück mit der Frage nach dem Sinn des Lebens, Antworten scheinen in den erwanderten Traktaten zu stecken.

Pilgerreise durchs Land

Nächste Nähe, weit entfernt ist ein Buch übers Gehen, übers Nachdenken, während man unterwegs ist, und ein Spiel mit Sprach- und Erzählformen. Kein Buch über Meditation, aber eines, in dem sich absatzweise gut weiterdenken lässt, was Christine Pitzke in manchmal sehr pointierten Bildern schildert. Dies ist nicht wirklich ein Roman, sondern ein Text, der häppchenweise zu lesen ist. Es geht nicht um Handlung, um Erlebnisse, es geht eher um die Reflexion dessen, was andere erlebt haben.

Die Struktur erinnert ein wenig an die Canterbury Tales, auch hier geht es um eine Pilgerreise, aber eine, die alles in Frage stellt, in der es vor allem um den Wert der Freundschaft, um Gefühle wie Empathie und Treue geht. Die Rahmenhandlung führt ins Leben der berufstätigen Mutter, die ihr eigenes Leben seltsam distanziert betrachtet, nur durch Zufall in diesem Leben gelandet scheint. Es wird von den Arbeitskollegen gesprochen, den Nachbarn, der Liebe, aber dieser Karoline leidenschaftliches, eingebettetes Leben zu glauben, ist schwer. Sie beobachtet.

Kurze Momentaufnahmen

Die kurzen Momentaufnahmen während der Reise, die den Hauptteil des Buches ausmachen, erinnern an eine Flaschensammlung von Duftessenzen und verdanken ihr Erscheinen angeblich einem anonymen Sender, der sie ins Internet stellte, zur freien Entnahme, zum Kosten und Gustieren. Hier versuchte die Autorin, die Möglichkeiten des Blogs für ihr Buch zu verwenden, in eine Kunstform zu verwandeln.

Das alles erinnert ein wenig an ein mittelalterliches Stundenbuch in zeitgenössischem Gewand, eine dichte Folge von intensiv erlebten Augenblicken, über die auch Buch geführt wird - mit lauter modernen Charakteren in modernen Berufen. Niemand ist dem anderen wirklich nahe, selbst zwischen Mutter und Kind besteht eine Kluft. Aber alle Figuren versuchen, die Möglichkeiten der Sprache auszuloten. Christine Pitzke hält den Text bewusst so mäandernd, Interpretationen sind in vielerlei Hinsicht möglich. Nichts scheint in diesem Buch trotz aller Analyse wirklich festzustehen.

Sprachlich beeindruckend

Pitzke, die für ihr Debüt Versuche, den Morgen zu beschreiben (2004) den Rauriser Literaturpreis bekam, legt hier ein sprachlich oft beeindruckendes kleines Buch vor, dessen Eindringlichkeit beachtenswert ist. Die Fata Morgana, der Wunsch, den beglückend friedlichen Ort als Daheim für jeden zu finden, kann nur in einem Desaster enden.

Die Heldin und ihr Umfeld bleiben in Distanz und so flach, dass klar wird, Christine Pitzkes Stärke liegt nicht hier, sondern in der Betrachtung des Details, winziger Szenen, die dann wirklich hängen bleiben.

Keine Lektüre für zwischendurch, in wenigen Teilen überzogen und manieriert, ist dieses Buch doch eine inspirierende Gegendarstellung zu medial oft so laut präsentierten Lebensentwürfen. Originell auf jeden Fall ist der Versuch, die üblichen Textformen des Internettagebuchs zu überhöhen und für einen Roman zu nutzen.

Nächste Nähe, weit entfernt

Roman von Christine Pitzke

Verlag Jung und Jung, Salzburg 2007 151 Seiten, geb., € 18,90

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