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Angst vor Leid im „rest of life"

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Auf den ersten Blick sind es keine auffallend kämpferischen Frau-pn und keine außergewöhnlichen Schicksale, die Mary Gordon in ihren Erzählungen beschreibt. Es geht um drei Frauen, die sich in ihrem Leben mit aufmerksamen Liebhabern oder sorgenden Ehemännern, erwachsenen Kindern und interessanten Berufen ganz gut zurechtgefunden haben. Der jugendliche Übermut ist längst gedämpft von ganz normalen Erfahrungen ganz normaler Mittelschicht-Frauen der heutigen Zeit.

Und doch trägt jede von ihnen, staunend zurück- und eine nicht mehr so weite Strecke nach vorn blickend, schwer an all den Pflichten, Verbindlichkeiten und Beziehungen, die sich im Laufe ihres Lebens scheinbar zufällig angesammelt haben. Deshalb versuchen sie wohl, für „The Rest of Life" (so der viel passendere Originaltitel) allzugroßen Erschütterungen auszuweichen, um keine Verletzungen zu riskieren. Was nicht gelingt.

Die Sozialarbeiterin und engagierte Leiterin eines kirchlichen Frauenhauses geht eine Reziehung mit einem Priester ein, der sie - die sich nach einer Scheidung mit halbwüchsigen Kindern vom Traum der großen Liebe innerlich verabschiedet hat—zu neuem emotionalen Leben erweckt. Der vom trivialen Alltag völlig unbefleckte Mann, der viele Jahre in einem Kloster verbracht hat, eröffnet ihr eine unbekannte, geistige Welt. Er bewahrt sie mit seinem naiven, unverdorbenen Interesse an ihrem Körper und an ihrem Leben mit mißhandelten Frauen vor der Abgestumpftheit sich selbst und anderen gegenüber. Damit gelingt ihm eine behutsam geschilderte andere Art Seelsorge. Ängstlich bedacht, ihr Glück nicht herauszufordern, legt sie ständig den Schatten der Trennung über die Idylle, um darauf gefaßt zu sein.

Die Dichte von Mary Gordons Bildern! wächst mit jeder ihrer Geschichten. Sie beginnt im „Befleckten Mann" noch im locker-flockigen Erzählton, als würde sie die Geschichte beim Kaffeetratsch einer Freundin erzählen und selbst am meisten davon überrascht sein, daß ihr selbst das alles widerfahren konnte. Sprachlich wird damit die naive Offenheit der geschilderten Beziehung verstärkt, die jede moralisierende Abwertung dieser „unheiligen Liaison" verbietet.

Aus der bruchstückhaften Schilderung von Alltagssituationen brauen sich in der zweiten Erzählung schon bedrohlichere Bilder zusammen, deren Konturen ständig verschwimmen. Dabei ist die Auseinandersetzung der Ärztin mit dem ihr oft un-verstehbaren Mann als Metapher für die Skepsis gegenüber der Authentizität von Sprache interessant: Der Freund gibt Interviews über seine spannenden Kriegseinsätze, in denen sie ihn wiederzuerkennen glaubt. Er beteuert ihr aber, all diese Worte hatten mit ihm gar nichts zu tun, er erzähle den Reportern nur, was sie hören wollten. Sie ist verwirrt: „Es macht mir Angst, was dabei mit der Sprache geschieht, was mit der Wahrheit geschieht, wenn Wörter das Gegenteil dessen zu bedeuten scheinen, was gemeint ist, wenn das, was wie Aufrichtigkeit wirkt, in Wirklichkeit ein kunstvoller Schutzschirm ist, um vor den Menschen das zu verbergen, was tatsächlich der Fall ist."

Auch die Ärztin, die mit autisti-schen Kindern arbeitet und nun mit diesem Kriegsberichterstatter zusammenlebt, beschäftigt sich viel mit dem Gedanken, wie sie nach seinem Tod weiterleben könnte, ohne völlig aus dem Gleichgewicht zu geraten. Als alleinerziehende Mutter und Karrierefrau weiß sie sich auf einem brüchigen Fundament aus Wohlstand, beruflicher Zufriedenheit und Muttersein, das durch den geliebten Mann eine nicht mehr erhoffte Stabilität erhält. So wie sie als Ärztin für ihre au-tistischen Kinder mit Geduld und Ernsthaftigkeit an der Geborgenheit baut, ohne für Heilung oder Resse-rung ihrer Lebenssituation garantieren zu können, baut sie an der glücklichen Beziehung, die täglich gefährdet ist. Das gemeinsame Kind wird trotzdem nicht geboren, sie fühlt, daß das Gleichgewicht zu labil und die gemeinsame Zukunft nicht sicher ist.

In der letzten Erzählung besucht eine alte Amerikanerin nach 50 Jahren ihre italienische Heimat, die sie als junges Mädchen verlassen hat. Sie fürchtet keine neuen Verletzungen mehr, nur mehr die Erinnerung. Das Haus des geliebten Vaters ist abgerissen, keine bekannten Namen mehr im Telefonbuch zu finden. Doch die dramatischen Ereignisse um den geplanten Doppelselbstmord mit ihrer Jugendliebe, dem er zum Opfer gefallen ist, lassen sie ihr gesamtes Leben aufrollen und sich damit versöhnen. Im präfaschistischen Italien war kein Platz für schwärmerische Dichterseelen, die sie und ihr Freund in sich entdeckten.

Auch diese dichteste und intensivste Erzählung ist leicht zu lesen. Ähnlich der ersten Erzählung sind es auch hier knappe und einfache Sätze, die allerdings in ihrer Schärfe und Klarheit nur die eines alten Menschen sein können. Die Schilderung der Familie ihres ungeliebten Ehemannes: „An Feiertagen kam die ganze Familie im Haus der Mutter zusammen wie ein Herde von Huftieren: laut, gefräßig, gefährlich ", oder die Beschreibung ei -nes wohlhabenden Haushalts: „Ruhige Straßen, weiche Dinge zu essen" weisen Mary Gordon als große Erzählerin aus.

Mary Gordons Frauen haben Angst, „fester Erdboden, der dicht um ihre Wurzeln gepackt war, würde ins Rutschen kommen," denn sie wissen längst, „wie ungeheuer schwierig es ist, ein ganz gewöhnliches Leben in allen Einzelheiten zu bewältigen".

FRAUEN

Erzählungen von Mary Gordon. Ammann Verlag, Zürich 199). )62Seiten, geb., öS) 11,-

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