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Adel verpflichtet

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Bei einer der letzten Sendungen „Wer sind unsere Nachbarn?“, die Österreich gewidmet war. frug Kulenkampff die Schweizer Teilnehmerin, wann die Spanische Hofreit-schule in Wien gegründet worden sei. Sie sagte: 1572. Worauf Kulenkampff erwiderte, dies sei falsch. Die Spanische Hofreitschule in Wien sei 1729 entstanden. Im Laufe der Sendung wurde Kulenkampff darauf aufmerksam gemacht, daß wohl das Gebäude 1729 errichtet worden sei, die Reitschule aber tatsächlich 1572 gegründet worden ist. Aber Kulenkampf blieb bei seiner Behauptung.

„Kuli“ irrte sich wirklich. Die Spanische Hofredtschule wurde tatsächlich 1572 von Erzherzog Karl von Steiermark, dem Sohn Ferdinands I. und Neffen Karls V., in dem kleinen istrianischen Ort Lipizza ins Leben gerufen. Dieser Habsburger, ein Enkel Johanna der Wahnsinnigen von Spanien und somit selbst teilweise ein Spanier, war em großer Freund der Pferde. Durch seinen Freund, Baron Khevenhüller, ließ er aus Spanien Zuchtmaterial ankaufen. Das spanische Pferd hatte im damaligen Europa ein ähnliches Ansehen wie das englische Vollblut in unserer Zeit. Es war aus einer Kreuzung von arabischen und berberischen Hengsten mit der iberischen Rasse zur Zeit der Maurenherrschaft entstanden und hatte alle Vorzüge, die die damalige große Welt liebte, nämlich große Gelehrigkeit in der Schulreiterei, enorme Körperkräfte, gepaart mit zierlichen Bewegungen.

Von diesem kleinen Ort Lipizza haben die weißen Pferde der Spanischen Hofreitschule bis heute ihren Namen. Sie sind außerdem eine der letzten lebenden Erinnerungen an das Reich der casa de Austrla. Uber der Reichskanzlei der Wiener Hofburg prangt unter der römischen Kaiserkrone heute noch das Wappen, das die Embleme von Österreich und Kastilien zeigt. Im Schatten dieses Wappens zeigen die weißen Pferde ihre großen Künste.

Bis zum Ende des ersten Weltkrieges gehörten diese weißen Pferde und das ganze Gestüt dem Hof. Sie standen mit ihren Vorführungen auch nur dem Hof und seinen Gästen zur Verfügung. Mit der Beschlagnahmung des Familien-forjds wurde auch das Gestüt und die gesamte Hofreitschule verstaatlicht Man unterstellte es dem Landwirtschaftsministerium, wahrscheinlich auf Grund des logischen Schlusses, daß Pferde Pferde seien und somit in das Ressort dieses Ministeriums fielen. Die Verstaatlichung brachte allerdings den einen Vorteil, daß nun die Vorführungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Und seither ergötzen die herrlichen Künste dieser herrlichen Pferde alljährlich Tausende von Besuchern, die sich oft in Schlangen vor der Reitschule um Karten drängen. Die Vorführungen ergötzen nicht nur die Österreicher und Ausländer, die Wien besuchen, sondern vielfach aus das Ausland selbst. Denn seit geraumer Zeit absolviert die Spanische Hofreitschule oftmals Auslandstourneen, die nicht nur dem Ruhm Österreichs dienen, sondern auch der Staatskasse, denn von jeder Auslandstournee bringen die Hengste einen schönen Reingewinn nach Hause.

Aus Anlaß des 400jährigen Jubiläums gab nun der Wiener Fritz-Molden-Verlag ein wahres Prachtwerk über diese letzte noch bestehende Akademie der klassischen Reitkunst heraus. Verfasser ist der derzeitige Kommandant der Reitschule, Oberst Handler, Nachfolger des legendären Kommandanten Oberst Podhajsky. Die Bilder, vielfach farbig, stammen von Erich Lessing, bekannt durch seine Photos in „Life“ und „Paris Match“. Der Autor erzählt von Zucht und Rasse, von der großen Schönheit der jungen Pferde im Gestüt, von den Regeln klassischer Dressur, von der Ausbildung zu den „Schulen über der Erde“ — Levade, Courbette, Kapriole, die nur in der „Spanischen“ noch geritten werden. Er erzählt viele Geschichten aus vier Jahrhunderten, vom „Spadnischen Reithsall“ über Maria Thereslas „Damenkarussell“ bis zur Galavorführung vor Elizabeth II. Er erzählt von dem Gestüt Lipizza und dessen Nachfolger, dem Gestüt Piber in der Steiermark, von dem schönen Gebäude der Stallburg, das eigentlich als Kronprinzenpalais erbaut worden war.

Er erzählt von der Flucht der Pferde und der Bereiter in den Napoleonischen Kriegen und von der dramatischen Rettung im zweiten Weltkrieg, als die Pferde, die • nach Hostau dn der Tschechoslowakei „verlagert“ worden waren, durch das mutige Auftreten des damaligen Kommandanten Oberst Podhajsky und dem nicht minder mutigen Eintreten des amerikanischen Generals Patton in den allerletzten Tagen des Krieges evakuiert und für Österreich gerettet werden konnten. Er berichtet, was besonders zu begrüßen ist, in Wort und Bild, von den berühmten Bereitern und Kommandanten der Hofreitschule, die er somit der Vergessenheit entreißt.

So ist dieses Werk ein wirkliches Standardwerk über eine der größten lebenden Külturleistungen Österreichs. Ein Zeugnis für seine große Vergangenheit und eine Aufforderung, auch in der Zukunft groß zu leben.

Nach 1918 sagte man in Deutschland: „Der Kaiser ging, die Generale blieben.“ Prof. Wand-ruszka, der bekannte Historiker, wandelte dieses Wort für Österreich auf seine Weise ab, indem er sagte:

„Der Hof verschwand, die Hofräte blieben.“ Man könnte diesen Spruch ergänzen: „Glücklicherweise nicht nur diese, sondern auch die Hofreitschule.“

DIE SPANISCHE HOFREITSCHULE ZU WIEN: Von Handler/ Lessing. 272 Seiten mit mehr als 350 Abbildungen, davon 84 in Farbe. Verlag Fritz Molden, Wien. S 880.—.

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