Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Eine Sonnenscheinkultur
Wenn ein gestandener Gewerkschafter mit einem hochrangigen Funktionär der Wirtschaft per Du ist, dann ist das vielleicht noch kein Zeichen für die Aufweichung von Interessengegensätzen.
Wenn aber der Wirtschaftsvertreter von der Notwendigkeit revolutionärer Umwälzungen angesichts neuer gesellschaftlicher Herausforderungen spricht, während der Gewerkschafter vom bisherigen Weg höchstens im Sinne einer evolutionären Entwicklung abweichen will, dann befindet sich der Betrachter der politischen Szene mit großer Wahrscheinlichkeit in Osterreich.
Der Katholische Akademikerverband der Erzdiözese Wien hatte am 10. Jänner den geschäftsführenden Klubobmann der SPÖ und Metallgewerkschafter Sepp Wille sowie den ÖVP-National-ratsabgeordneten und Generalsekretär des Wirtschaftsbundes Wolfgang Schüssel eingeladen, um über „Politische Kultur in Österreich” zu reden.
Eindringlich beschworen beide Politiker den gesellschaftlichen Grundkonsens aller politischen Lager, ohne den unsere parlamentarische Demokratie nicht über-und weiterleben könne.
Wille erhob Partnerschaft zum obersten Prinzip einer guten politischen Kultur und sah diese im wesentlichen in Österreich auch gewährleistet. Lediglich den Streit um das Aufsperren der Geschäfte in Salzburg und anderswo am 8. Dezember, einem gesetzlichen Feiertag, sei ein Warnsignal dafür, daß man Sozialpartnerschaft nicht als Geschenk des Himmels betrachten dürfe, sondern ständig — in Gesprächen — um sie ringen muß.
Für Wolfgang Schüssel sind aber gerade die Vorgänge rund um den 8. Dezember und vor allem jene in der Hainburger Au ein Zeichen dafür, daß die politische Kultur Österreichs lediglich eine „Sonnenscheinkultur” ist. Unter dem vordergründig harmonisierenden Politikverständnis würde, so Schüssel, das Verständnis aller Politiker für die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte leiden. Deshalb laufe auch ein Großteil der Wählerschaft den etablierten Parteien allmählich davon.
In der Unzufriedenheit der
Österreicher mit der Politik und insbesondere mit den Politikern — wie sie Schüssel mit Umfragedaten zu belegen versuchte — vermeint der Sozialist Wille u. a. auch einen spezifisch österreichischen Charakterzug auszumachen: nämlich den des Nörglers und Raunzers.
Einig waren sich Wille und Schüssel wieder da, wo sie mehr Kontakt der Abgeordneten und politischen Mandatare mit der „Basis” forderten. Und auch Besserung gelobten: denn die Krise um Hainburg wäre, so Wille und Schüssel, vermeidbar gewesen, wenn man über die Stimmung im Volk besser Bescheid gewußt hätte.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!