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Kein Selbstzweck, aber „Mittel für Zwecke“
Was verbirgt sich hinter der Überbetonung der Wirtschaftspolitik im Wahlkampf? Etwa ein Abgehen von gesellschaßs-verändernden Maßnahmen? Die FURCHE ersuchte den Nationalratsmandatar Gerulf Stix um einen Grundsatzbeitrag.
Bereiche innerhalb einer ganzheitlich verstandenen Politik voneinander abzugrenzen, läßt sich verbal verhältnismäßig leicht bewerkstelligen, in der Sache freilich fallen überzeugende Abgrenzungen schwer. Wie steht es in dieser Hinsicht um die Wirtschaftspolitik? Kann sie neben oder jedenfalls außerhalb der Gesellschaftspolitik angesiedelt werden? Ist sie nicht vielleicht stets ein Teil der Gesellschaftspolitik? Und wo liegen die Abgrenzungen zwischen Gesellschaftspolitik und anderen „Politikern“?
Ich weiß alle diese Fragen nicht auf eine einigermaßen allgemeingültige Weise zu beantworten. Das vorausgeschickt, will ich gerne versuchen, einige subjektive Überlegungen dazu hier darzulegen. Es scheint mir einen Fall zu geben, wo Wirtschaftspolitik nicht Gesellschaftspolitik ist: Wenn vorhandene gesellschaftliche Strukturen nicht zur Debatte stehen und auch keine-Veränderung beabsichtigt wird, sondern Wirtschaftspolitik bloß auf allgemeine Verbesserung der Versorgung bzw. Hebung des Wohlstandes abzielt. Das wäre gewissermaßen die „reine Wirtschaftspolitik“.
Die Tücke des Objektes liegt nun darin, daß in beinahe jeder denkbaren Variante auch eine solche von gesellschaftspolitischen Zielen freie Wirtschaftspolitik (selbstkritische Anmerkung: Ist Hebung des Wohlstandes denn kein gesellschaftspolitisches Ziel?) meist gesellschaftspolitische Auswirkungen haben wird. Sie kann nolens volens wirtschaftspolitische Strukturen verschieben, kann z. B. den Handel,stärken oder das Gewerbe begünstigen, die Abwanderung vom Land bremsen oder beschleunigen, Ballungserscheinungen bewirken usw.
Verkompliziert wird die Betrachtung weiter, wenn man die eingesetzten Mittel, d. h. das wirtschaftspolitische Instrumentarium in sie einbezieht. Früher (Anmerkung: wirklich nur früher?) gehörte zu diesem Instrumentarium oft auch das Führen wirtschaftspolitisch motivierter Kriege! Oder umgekehrt: Hinter dem vordergründigen Ziel einer „Hebung der Wirtschaftskraft“ verbargen sich machtpolitische Ziele allgemeiner Natur, etwa die Schaffung von Rüstungskapazität.
Nach Othmar Spann obliegt der Wirtschaft sowieso nur die Bereitstellung von „Mitteln für Zwecke“. Selbst wenn man dieser oder einer ähnlichen Definition nicht uneingeschränkt folgt, kann doch nicht übersehen werden, daß das Wirtschaften seinen jeweils konkreten Sinn vielfach erst von über- oder vorgeordneten Bereichen her erhält. 'Wirtschaften als Selbstzweck dürfte geschichtlich betrachtet eher den Ausnahmefall bilden. Daß unsere heutige Zeit sich den Verdacht gefallen lassen muß, so ein Fall zu sein, steht auf einem anderen Blatt. Im übrigen kündigt die Diskussion um die „Grenzen des Wachstums“ auch das Ende der Epoche der Wirtschaftsvergötzung an. '
Aus dem bisher Gesagten ziehe ich den Schluß, daß Wirtschaftspolitik auch dort, wo das gar nicht beabsichtigt wird, für die Gesellschaftspolitik relevant ist. Ich teile nicht die marxistische Auffassung, wonach der ökonomische Unterbau den gesellschaftlichen Uberbau bestimme. Aber hier gibt es sicherlich wechselseitige Rückkoppelungsvorgänge.
Uber die faktische gegenseitige Beeinflussung von Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik hinaus wird die Wirtschaftspolitik selbstverständlich dann unmittelbar zu Gesellschaftspolitik, wenn sie absichtlich ganz oder teilweise in den Dienst gesellschaftspolitischer Ziele gestellt wird. So benütze der Liberalismus die Wirtschaftspolitik, um die feudalistischen Gesellschaftsstrukturen zu sprengen. Der (wissenschaftliche) Sozialismus tat das Gleiche gegen jene Strukturen, die er kapitalistisch nannte.
Heute haben wir in den westlichen Industrieländern weder Feudalismus, noch Kapitalismus, noch Sozialismus. Unsere Gesellschaft enthält Elemente von allem und befindet sich in einem pluralistischen Strudel, in dem sich kaum noch ein Uberblick gewinnen läßt. Hingegen haben sich im Osten Kapitalismus und Sozialismus zu einem neuen Feudalismus verbunden. Dort dient die Wirtschaftspolitik heute zumindest auch dazu, diesen neuen Zustand im Sinne der herrschenden Funktionärsklasse zu konservieren, d. h. sie ist Bestandteil der Geseilschaftspölitik.
Unter den verschiedensten anderen Vorzeichen ist dies die Wirtschaftspolitik aber auch in der pluralistischen Gesellschaft des Westens. Für gesellschaftspolitische Ziele wie Chancengleichheit, Privilegienabbau, soziale Besserstellung dieser oder jener Gruppen und dergleichen mehr werden fraglos auch wirtschaftspolitische Instrumente eingesetzt.
Verallgemeinernd kann man wohl sagen, daß alle diejenigen, die mittels Wirtschaftspolitik gesellschaftsver-ändernde Absichten verfolgen, in Wirklichkeit nicht Wirtschaftspolitik sondern mit der Wirtschaft Gesellschaftspolitik betreiben. Vermutlich erklärt dieser Umstand nebenbei auch, warum die wirtschaftspolitische Diskussion für den fachlich engagierten Wirtschaftspolitiker so schwierig geworden ist.
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