6992759-1986_50_06.jpg
Digital In Arbeit

Neue Chance

Werbung
Werbung
Werbung

Ein 62jähriger Österreicher, der Widerstandskämpfer war, wird von einem gutbürgerlichen jungen Grazer als Hochverräter“ beschimpft. Als derselbe Österreicher bei einer Geburtstagsfeier in Wien Kurt Waldheim verteidigt, läßt sich ein durch Alkohol schon etwas enthemmter Arzt Mitte vierzig zur Kennzeichnung .iNazisau“ hinreißen.

Der Österreicher, dessen Mutter den Text der österreichischen Bundeshymne verfaßt hatte, beschloß daraufhin ein Buch zu schreiben.

Irgendwie, so dachte Fritz Molden, sei es vielleicht auch die Schuld der eigenen Generation, daß mehr als vierzig Jahre nach Kriegsende Ignoranz gepaart mit Intoleranz auf derart deprimierende Weise triumphierten. Sein Buch, das dieser Tage erschien, heißt „Die Österreicher oder die Macht der Ge-. schichte“ (Verlag Langen. Müller) und ist nicht nur ein eigenwilliger Parcours quer durch j die österreichisc/ie Geschichte, sondern auch ein feuriges Plädoyer für die dritte Republik“.

Fritz Molden, der einstige Journalist, ,J?resse“-Her-ausgeber und abenteuerfreudige Verleger, bringt den Vergeßlichen im In- und Ausland allerlei in Erinnerung. So wenn er zum Beispiel im Kapitel über den .Anschluß“ 1938 folgendes schreibt: „Sntweder der Österreicher des Jahres 1938 war ein begeisterter Nazi, ein enthusiastischer Großdeutscher mit etwa damit verbundenen christlichen oder sozialistischen Sentiments, oder er war ein von Gott, der Welt und der ,jiew York Times“ verlassener Hund. Ein räudiger Hund noch dazu, den niemand haben wollte...“

Fritz Molden kennt sich in der Welt ein bisserl aus und hat den Vorteil, sich neben der Unbefangenheit des Urteils auch einen geradezu fremdartig-unösterreichisch wirkenden Optimismus bewahrt zu haben. Er glaubt, einen frischen Wind zu spüren und registriert ein ,JFrüh-lingserwachen der österreichischen — bisher lethargischen Wähler“. Und das alles noch vor den letzten Nationalratswahlen!

Wir haben jetzt eine Chance; meint Molden. Wir müßten nur erkennen, daß auf die Dauer nichts auf der Welt umsonst sei - weder für den einzelnen noch für Nationen. Jetzt heiße es Abschied nehmen von dem Mißverständnis, ein „onderfall“ gewesen zu sein, das bedeutet aber auch, tunlichst Abstand zu nehmen vom Selbstmitleid.

Die Chance ist da. Nur genützt muß sie werden. Von den Politikern und von den Wählern. Wenn die Politiker versagen sollten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung