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Zeitgenosse

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Der Besuch von Bundeskanzler Schmidt, der uns demnächst ins Haus steht, rückt auch den deutschen Presseattache stärker ins Blickfeld. Wer ist es — wes Geistes Kind ist er?

Die besonders intime Nachbarschaft Österreichs und der Bundesrepublik verleiht ja den Positionen des deutschen Presseattaches in Wien und seines österreichischen Kollegen in Bonn eine ganz spezielle Ambivalenz. Einerseits stellen sie besondere Ansprüche, und sind auch begehrt — nicht zuletzt, weil ihre Inhaber durch die Nähe daheim nicht ganz in Vergessenheit geraten. Anderseits bestehen zwischen den beiden Ländern so zahlreiche Kontakte, daß vieles, was Presseattaches üblicherweise so nach Hause berichten, dort ohnehin längst bekannt ist. Presseattaches in Wien und Bonn sind traditionell weniger mit dem Informieren als mit dem Zurechtrücken von Vorurteilen, Halb- und Unwahrheiten beschäftigt.

Der Mann, der die Abteilung für Politik, Presse und Information an der deutschen Botschaft in Wien seit eineinviertel Jahren leitet, geht den Dingen hochprofessionell auf den Grund: Er hat Politologie, Soziologie und Geschichte studiert und ist eine lebendige Widerlegung des Vor-

urteils, Leute, die Politologie und Soziologie studiert haben, müßten auf jeden Fall Staatsfeinde sein. Dabei trägt er einen Schnurrbart.

Wer tiefer in die bundesdeutsche Innenpolitik eindringen will, findet in Sepp Jürgen Woelker, Jahrgang 1944, einen profunden Kenner ihrer Labyrinthe. Als solchen, aber auch als gestandenen Liberalen, weist ihn sein bisheriger Lebensweg aus: Nach Studienjahren in Konstanz, New York und Baltimore seit 1969 persönlicher Referent des parlamentarischen Staatssekretärs im deutschen Außenamt Ralf Dahrendorf, anschließend in der gleichen Funktion beim Außenminister und FDP-Vorsitzenden Walter Scheel. Worüber er in der wohlbekannten generationstypischen Diktion spricht: „Das war ein bißchen eine Zirkusdirektorfunktion, high pressure, high stress...“

Die zahlreichen österreichischen Journalisten, mit denen sich Sepp Jürgen Woelker in Wien (das er vor seiner Entsendung an die Botschaft nicht gekannt hat) anfreundete, finden in ihm aber nicht nur die kompetente Auskunftsperson über bundesdeutsche Interna. Woelker — und dieser Woelker ist der für den Wiener besonders interessante Woelker — erweist sich vor allem als unbestechlicher und manchmal hellsichtig scharfblickender Beobachter Wiens. Einmal ein Bundesdeutscher, der uns keine billigen Komplimente macht, aber auch nicht, aus welchen Kompensationsgründen immer, auf

die Schaufel nehmen zu müssen glaubt!

Sepp Jürgen Woelker registriert in Wien einen Mangel an regionaler sozialer Mobilität. Interessant für uns sind die Folgen, die er daraus ableitet und die sich mit durchaus wohlbekannten Tatbeständen decken: „In Wien bestehen tradierte soziale Gruppierungen, die von außen überhaupt nicht mehr penetrabel sind und mit extremen Gruppensanktio-r nen arbeiten. Zum Beispiel Freundescliquen, von denen keiner mehr weiß, warum sie eigentlich Freunde sind, aber von außen kommt niemand hinein. Sie haben es nicht gelernt, Neulinge hinzuzulassen, nach außen sozial expansiv zu sein. Das ist die Folge eines Mangels an Notwendigkeit, neue Bekanntschaften zu schließen, die sich durch regionale Mobilität ergibt. Wenn Sie von Frankfurt nach Heidelberg ziehen, weil Sie dort eine bessere Position bekommen, müssen Sie neue soziale Kontakte aufbauen — im Beruf, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis. Das ist ein Lernvorgang, und der ist in Wien nicht notwendig.“

Wobei Woelker auch einem Versuch, der Medaille wenigstens die Stabilität der Beziehungen als positive Kehrseite abzugewinnen, heftig widerspricht: „Ich bestreite, daß sie stabil sind, weil sie nicht mehr reflektiert werden, warum sie eigentlich bestehen. Man muß sich doch immer fragen, warum man eine Person noch immer mag.“ Muß man?

Woelker erweist sich als ein brillanter Formulierer, wenn er seine in

Wien gemachten Erfahrungen in Bilder kleidet: „Die Höflichkeit wurde in Wien als Überlebenskonzept zur technischen Perfektion entwickelt, aber man muß aufpassen, daß sie einem, während sie höflich sind, nicht die faulen Tomaten unten in die Tüte legen — in allen Bereichen, auf allen Niveaus.“

Da hamma's, aber Hand auf's nicht immer arglose Herz, es g'schicht uns schon recht: „Die Fassade ist hier mit außerordentlicher intellektueller Feinheit konstruiert, und um etwas zu erreichen, muß man hartnäckig nach Tapetentüren suchen.

Es lohnt sich in Wien überhaupt nicht, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Bei Gott, sie ist nicht hart, aber sie federt unwahrscheinlich — bis zum Ring und wieder zurück, und Sie merken gar nicht, daß Sie weggefedert werden, fühlen sich in der Bewegung sogar noch sehr angenehm. Aber wenn man die Tapetentür gefunden hat — dann geht's.“

Ganz im Ernst — solche Sätze halten uns schon einen Spiegel vor. Sepp Jürgen Woelker ist noch vollauf damit beschäftigt, über Wien zu lernen — wobei es nicht ausgeschlossen erscheint, daß der deutsche Politologe und Soziologe hier auch noch zum Psychologen wird. Und gerade hier in Wien den Blick für jene Tapetentüren schärft, die überall auf der Welt vorhanden sind, die man aber vielleicht dort nicht immer findet, wo es mit dem Kopf durch die Wand auch geht.

Für mich als Wiener ist es immer wieder faszinierend, das mir Selbstverständliche in der Verfremdung als das anderen Unverständliche, oft sogar Abstoßende, zu erleben. Ich verdanke Sepp Jürgen Woelker eine interessante Stunde in der Kette diesbezüglicher Lektionen. Es steht zu hoffen, daß er im Lauf der nächsten Jahre nicht allzusehr verwienert, denn wir brauchen kritische, ehrliche Freunde.

Ein bißchen verwienern kann er aber ruhig noch. Ein kleines bißchen wenigstens. Aber wie gesagt — nicht zu viel!

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