6847051-1976_26_13.jpg
Digital In Arbeit

Die Molden-Memoiren

Werbung
Werbung
Werbung

Woher soll man wissen, wie's gewesen ist, wenn man kein aufgeschlossener oder überhaupt kein Zeitgenosse war? Heimwehr — was ist das? Schoberblock — was ist das? Landbund — was ist das? Innitzer — was ist das? Die Zeitungen — einseitig und der Tagtäglichkeit verpflichtet. Biographien — ganz auf einen einzelnen zuungunsten des Allgemeinen orientiert. Belletri-tristik — selbst bei gewissenhaftem Quellenstudium nicht authentisch. Briefe — wer liest Briefbände, wer holt aus dem Privaten das historisch Faktische heraus?

Gewiß, die Wissenschaft leistet Respektables (Hut ab vor unseren Zeitgeschichtlern!), aber sie bietet nicht das, was wir Lesestoff nennen. Memoiren? Werden vorwiegend von Beteiligten und Eitlen geschrieben, die sich selbst gegenüber nicht kritisch sein können. Auch setzen sie vieles voraus, was den Neugeborenen nicht selbstverständlich sein kann wie ihnen. Nicht so Fritz Molden!

Einer der großen Glücksfälle seines Erinnerungsbuchs: Er setzt nichts voraus. Er erzählt alles, als wär's ihm ebenso neu wie im Augenblick des Erlebens. Er weiß, daß der durchschnittliche Leser nichts weiß. Für diesen Leser schreibt er, ihm zum Nutzen erinnert er sich.

Und nicht sich stellt er ins Zentrum, sondern seine Erlebnisse.

Weiterer Glücksfall: Diese Erlebnisse sind wie von einem großen Regisseur oder . genialen Herausgeber zusammengestellt. t>ie Route des Lebenswegs ist so angelegt, daß sich ein fast komplettes authentisches Bild der Vorgeschichte und der Anfänge unserer Zweiten Republik ergibt. Fritz Molden war von Anfang an ein aufgeschlossener Zeitgenosse. Vom Elternhaus her ist ihm das alte Österreich überliefert. Seine Mutter Paula von Preradovic, die bedeutende und liebenswerte Dichterin, kam aus dem verlorenen adriati-schen Südosten der Monarchie. Vater Ernst und Großvater Berthold Molden waren angesehene liberale Publizisten, standen mitten im Zeitgeschehen, doch neben- und über den politischen Parteien.

Vom brennenden Justizpalast sah Klein Fritz 1927 aus dem Dachbodenfenster Rauch und Flammen. Die Februarkämpfe 1934 erlebte er aus nächster Nähe. An den Kämpfen des Juli 1934 nahm sein älterer Bruder Otto aktiv teil. Die Opposition gegen den Nationalsozialismus war ihm gleichsam unreflektiert und selbstverständlich.

Als die unselige Erste Republik agonisierte und unterging, wurde der politisch wache Knabe aus der Oster-leitengasse im Wiener Bezirk Döb-ling allmählich und zwangsläufig in die Weltgeschichte einbezogen. Er hat sie angeschaut, er hat sie mitgestaltet, er hat sich mit gutem Gedächtnis alles gemerkt und hat es nun aufgeschrieben.

Weiterer Glücksfall: Fritz Moldens Buch hat keine literarischen Ambitionen, ist aber trotzdem (oder eben drum) gut geschrieben und bestens lesbar; es ist frei von Sensationslust, es ist nicht egozentrisch, ich möchte sagen: es ist austrozentrisch.

Fritz Molden glaubt an Österreich, doch nicht an ein unverbindliches, gewesenes, imaginäres, sondern an jenes künftige, das er mit Einsatz seiner Person in den vierziger Jahren neu gründen helfen will, an kein idales Gebilde aus der Phrasenwelt von Festreden und Leitartikeln, an kein „gutes Land“, sondern an eins, das besser ist, besser als das, was es vor dem Untergang in den dreißiger Jahren aus sich gemacht hat. Andere haben „Österreich“ gesagt — Fritz Molden hat Österreich getan.

In dieser Eigenschaft kritisiert er auch völlig frei und ungeniert, sonst wäre er als authentischer Österreicher nicht glaubwürdig. Manchmal meint man: der Autor staunt selbst, was ihm alles zu Hause und bei der Wehrmacht und im Untergrund, in Italien, in Frankreich, in der Schweiz, im Gefängnis und auf der Flucht, im Umgang mit den Alliierten, im deutsch-besetzten und im befreiten Österreich, als Mitarbeiter der Tiro ler Landesregierung und des Wiener Außenministeriums, begegnet ist, und er schreibt es auf, um sich zu vergewissern, daß alles das wahrhaftig geschehen ist.

Auch als Zeitgenosse der dargestellten Vorgänge liest man die Möl-den-Memoireh mit Gewinn, um sich neu zu vergegenwärtigen, was man gewußt hat, und es durch InsideDetails zu ergänzen. Wer aber erst nach der Geburtsstunde unserer Republik zum Bewußtsein erwacht ist, wird von Fritz Molden erfahren, wie's gewesen ist.

FEPOL1NSKI & WASCHLAPSKI AUF DEM BERSTENDEN STERN. Von Fritz Mold en. Verlag Molden, Wien, 456 Seiten, öS 218,—.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung