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TADELLOS UND ZU SEHR ANGEPASST

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Wenn es diese Partei nicht gäbe, müßte man sie erfinden. Dann aber gewiß ein wenig anders. Fest steht jedenfalls, daß die Christlich-Demokratische Volkspartei (KNDP) Ungarns in ihrer soliden Bescheidenheit schon lange eine stabilisierende Partei in der Koalition ist.

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Wenn es diese Partei nicht gäbe, müßte man sie erfinden. Dann aber gewiß ein wenig anders. Fest steht jedenfalls, daß die Christlich-Demokratische Volkspartei (KNDP) Ungarns in ihrer soliden Bescheidenheit schon lange eine stabilisierende Partei in der Koalition ist.

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Im Gegensatz zum regierenden Demokratenforum (MDF) Jözsef Antalls, das seine rechten und linken Demagogen immer weniger zu zügeln imstande ist, sind die Christlichen Demokraten geradezu unempfindlich dem radikalen Gedankengut gegenüber. Auch die Schizophrenie der im Parlament gleichzeitig in der Regierung, in derOpposition sowie in einer selbständigen Fraktion agierenden Kleinen Landwirte steht ihnen fern.

Diese Stabilität dürfte geradezu bewundernswert sein, wäre die Partei bloß imstande, sich diese auch in der Öffentlichkeit zunutze zu machen. Statt dessen übt man sich in frommer Bescheidenheit; und man ist sogar noch auf Statistiken stolz, die beispielsweise bezeugen, daß sich ein KDNP-Abgeordneter - die Parlamentsfraktion besteht aus 21 Mitgliedern - im Durchschnitt elfmal zu Wort zu melden pflegt, während die anderen ihre Stimme im Plenarsaal generell nur siebenmal hören lassen.

Gleichzeitig wundert man sich darüber, daß die wohl etwas anders gearteten Medien andere Sorgen haben, als die Pressemitteilungen der Partei zu veröffentlichen. Seit ihrer Neu-gYündung im Herbst 1989 ist die KDNP fortwährend außerstande, ein eigenes oder zumindest ihr nahestehendes Presseorgan ins Leben zu rufen. So beziehen die rund 20.000 Mitglieder im Lande ihre Informationen aus einem internen Monatsbulletin - das potentielle Wahlvolk möge von selbst entstehen. Dieser Standpunkt könnte bei den im Mai 1994 fälligen Wahlen verhängnisvolle Folgen haben - zumal der Grund für die Ohnmacht der Christlichen Demokraten in ihrem nach wie vor ungeklärten Verhältnis zur erdrückenden Dominanz des MDF besteht.

Dabei hatte die Partei von Anfang an eine günstige Ausgangsposition; im Gegensatz zu den Kleinen Landwirten - zu derem geistig-politischen Erbe sich auch das Ungarische Demokratische Forum (MDF) Antalls teilweise bekennt - hat sie keine Vergangenheitsbewältigung nötig. Ihre Vorgängerin, die noch im Herbst 1944 gegründete Demokratische Volkspartei, die drei Jahre später mit 62 Abgeordneten die stärkste Oppositionspartei im Lande war, lehnte jedwede Zusammenarbeit mit den von den Kleinen Landwirten geführten, doch von den Kommunisten unterwanderten Koalitionsregierungen konsequent ab.

Nach den Wahlen im Mai 1989 hat aber die KNDP aus Rücksicht auf das Demokratenforum darauf verzichtet, ihr politisches Profil aus diesem Erbe zu stärken. Statt dessen hieß es, man sei Zünglein an der Waage. Diese Waage gibt es aber schon lange nicht mehr; da die Kleinen Landwirte nach dem Zerfall ihrer Fraktion in der Koalition lediglich die Rolle des stillen und für das Geduldetwerden äußerst dankbaren Untermannes spielen, hat Antall praktisch freie Hand. Sein Team hat das MDF bei den wichtigsten west-lichen Partnerparteiorganisationen von Anfang an als die christliche Kraft Ungarns vermarktet - und dies gilt auch für den Föderungsbereich. Die Ansicht, wonach das Forum die im Westen so viel bewunderte Stabilität Ungarns garantiere, ist allerdings bei weitem nicht unrichtig. Sie wird auch von der KDNP vertreten. Viel zu sehr allerdings. Denn für zwei Minister -einer für Wohlfahrt, der andere ohne Portefeuille -, ferner einen Staatssekretär im Justizministerium und den zweifelsohne ehrenhaften Posten des Botschafters beim Heiligen Stuhl hat sie sich zu sehr angepaßt, was einer politischen Unscheinbarkeit gleichkommt.

So sehr auch die Tadellosigkeit sowie die Einheit der Partei als Tugenden gelten dürfen, wird damit aber der wirksamen Vertretung christlich-demokratischer Grundwerte in der ungarischen Gesellschaft kaum Genüge getan. Obwohl die KDNP zur Zeit etwa 100 Bürgermeister und mehr als tausend Mitglieder in den Kommunalräten stellt, kann sie ihre Isolation, in die sie sich infolge des Anpassungskurses freiwillig hineinmanövriert hat, nicht überwinden.

Die Frage, ob sie es überhaupt will, ist berechtigt. Immerhin liegt ihr Wohlfahrtsminister Läszlö Burjan sogar in den von engagierten Oppositionellen durchgeführten Meinungsumfragen an 15. Stelle - vor Jözsef Antall. Der Parteivorstand ist stolz darauf, daß die Partei bei den Zwischenwahlen - die aber wegen allgemeinen Desinteresses in der Regel mehrmals wiederholt werden müssen - neuerdings etwa 15 bis 20 Prozent der Stimmen erhält.

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