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Zug zum Realismus

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Das „Liechtensteinsche Volksblatt” schrieb anläßlich des Besuches von Bundeskanzler Kreisky in Vaduz, man habe in Gesprächen mit dem österreichischen Regierungschef den Eindruck gewinnen müssen, er interessiere sich mehr für die Nahostpolitik als für europäische Probleme. Wahrscheinlich, so heißt es im „Liechtensteinschen Volksblatt”, sei Kreisky um die Rolle eines europäischen Kissinger bemüht.

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Das „Liechtensteinsche Volksblatt” schrieb anläßlich des Besuches von Bundeskanzler Kreisky in Vaduz, man habe in Gesprächen mit dem österreichischen Regierungschef den Eindruck gewinnen müssen, er interessiere sich mehr für die Nahostpolitik als für europäische Probleme. Wahrscheinlich, so heißt es im „Liechtensteinschen Volksblatt”, sei Kreisky um die Rolle eines europäischen Kissinger bemüht.

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Zur gleichen Zeit weilte ÖVP- Bundesparteiobmann Karl Schlein- zer auf einem 5-Tage-Besuoh in Israel. Er führte dort mit Ministerpräsident Rabin, Außenminister All on und dem Jerusalemer Bürgermeister Kollek mehrstündige Gespräche und traf ferner auf österreichische UNO-Soldaten im Krisengebiet.

Schleinzers Reise nach Israel wurde in der israelischen Öffentlichkeit mit ungewöhnlich großem Interesse verfolgt. Auch in den der sozialistischen Mapai-Fartei zuzurechnenden Presseorganen wurde bock, sowohl als Innen- als auch als Verteidigungsminister unter einem Bundeskanzler Karl Schleinzer stark im Gespräch sowie der außenpolitische VP-Sprecher Karasek.

In Israel ist man naoh wie vor darüber verbittert, daß ausgerechnet Bundeskanzler Kreisky so ziemlich in allen Stellungnahmen zum Nahost-Konflikt die Partei der arabischen Seite ergriffen hat. Unter den europäischen Regierungschefs außerhalb des Ostblocks hat er, so heißt es, fast eine Monopolstellung. Selbst das traditionell araberfreundliche Frankreich und das von der Kremlgrundsätzlich von Kreiskys Position. Es handelt sich dabei insofern um richtige Schritte, als sie den Grundsätzen des Völkerrechts entsprechen. Das macht sie zwar weniger spektakulär als Kreiskys ständig auf den Beifall der afro-asiatischen UNO- Mehrheit bedachte Außenpolitik, dafür aber basieren sie auf zweckmäßigen neutralitätspolitischen Überlegungen.

So wie sich in der internationalen Wirtschaftspolitik schon ein recht starker Zug zum Realismus erkennen läßt, genauso entfernt sich auch die internationale Außenpolitik mehr und mehr von den Utopien politischer Grenzgänger. Vor fünf Jahren noch hätte alle Welt die Verabschiedung proafro-asiatischer Resolutionen in der UNO als Erfolge der internationalen „Demokratisierung” gewertet, heute beklagt man zumindest im Westen den Sieg außenpolitischer Leidenschaften über die Vernunft. Diese Entwicklung macht es außenpolitischen Träumern schwerer, konservativen Realisten dagegen leichter. Daraus erklären sich letztlich auch die außenpolitischen Erfolge des deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der heute schon effizienter vermittelt als Willy Brandt in seiner besten Zeit.

Zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort führte sich Karl Schleinzer — wenn man so will — in die Weltpolitik ein. In Österreich fand das viel weniger Beachtung als im Ausland. Das mag mit zum Schicksal der leidenschaftslosen Politik gehören. Schleinzer hörte zu und ging mit grundsätzlichen Erklärungen zu außenpolitischen Fragen sehr sparsam um. Er vermied es, in den Gesprächen mit führenden israelischen Politikern bilaterale Fragen zu erörtern, weil dies zu den Regierungs- und nicht zu den Oppositionsgeschäften gehört.

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