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Antwort der Mitte

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Daraus geht hervor, daß es auch bei Schaff letztlich keine andere Möglichkeit für die Vollendung des Menschen gibt als innerhalb und durch die menschliche Gesellschaft. In diesem Sinne weicht Schaff keineswegs von der traditionellen marxistischen Auffassung ab, sosehr er sich sonst bemüht, dem menschlichen Individuum unabhängig oder über die Gesellschaft hinaus eine Eigenständigkeit und ein Ziel zu geben. Mit der Betonung der mensdiMchen Autonomie und Unabhängigkeit wehrt sich Schaff gegen das christliche Menschenbild und seine Heteronomie. In christlicher Schau ist nämlich die Vervollkommnung des Menschen letztlich in Gott zu erreichen, angestrebt aber wird auch eine so gesehene Vervollkommnung innerhalb der menschlichen Gesellschaft.

Vielleicht dürfen wir auf dde Gesellschaftsphilosophie des Marxismus rückschauend sagen, daß nicht zuletzt die Einseitigkeit des auf dem anomal rationale ruhenden Menschenbildes mit seiner Verkürzung des sozialen Aspektes — vor allem in der späten Scholastik — eine der Ursachen war, daß die Gesellschaftslehre des Marxismus einen solchen Einbruch in die abendländische Welt vollziehen und eine so bereite Aufnahme finden konnte. Ein Extrem ruft nämlich das andere, wie das französische Sprichwort sagt: „Les extremes se touchent“.

Wahrheit zwischen den Extremen

Diese beiden sich gegenseitig ausschließenden Antworten auf die Frage nach der geselllschaftlichen, sozialen Wirklichkeit, das heißt der extrem individualistische und der orthodox-marxistische Standpunkt, haben in der Neuzeit ihre weit-reichenden geistesgeschichtlichen, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen gehabt: Sie reichen vom Renaissanoefürsten und Machtmenschen Macchiavellis bis zum Ubermenschen Nietzsches mit ihrer Verhöhnung des Mitmenschen und aller gesellschaftlichen Bindungen, mit der Ignorierung der gesellschaftlichen Erscheinungsformen und Wirklichkeit. Auf der anderen Seite führt die marxistische Antwort zur kornmunistischen Klassenherrschaft mit dem utopischen Ziel einer klassenlosen Gesellschaft, wobei der Wert des Einzelmenschen nur nach seinem Beitrag für die Klassengesellschaft gewertet oder abgewertet wird.

Es kann uns also weder die antisoziale Position des extremen Individualismus noch die antiindividuelle Position des Marxismus eine befriedigende Antwort geben, ob und wie weit es eine Vollendung des Menschen durch die Gesellschaft gibt. Es finden sich aber Wahrheitselemente dn beiden Positionen. Dazu besinnen wir uns auf dde große geistige und menschliche Tradition des Abendlandes, in der Bausteine eines Aristoteles und Thomas von Aquin bis zur christlichen Gesellschaftslehre der Gegenwart sich verschmelzen mit dem christlichen Menschenbild der Bibel und der heute vertieften Erkenntnis der sozialen Wirklichkeit

Die so zu gebende Antwort vermeidet einseitige Positionen, es ist eine Antwort der Mitte. Dazu müßten wir aber noch einige Uber-legungen über soziale Ontologie und das Gemeinwohl vorausschicken.

Analyse des gesellschaftlichen Seins

Sosehr Thomas von Aquin sich bereits mit der Frage des Gemeinwohles beschäftigt hat und sozialethische Normen daraus ableitete, so war doch damals die Zeit noch nicht reif, „um den gesellschaftlichen Aufbau von der menschlichen Person her bei strenger Einhaltung des Gesichtspunktes des Individualrechtes zu sehen“ (A. F. Utz in sedner Untersuchung der Gemeinwohlidee bei Thomas von Aquin). Die gesellschaftliche Ganzheitsauffassung des Aqudnaten ist besonders durch Aristoteles beeinflußt Rund sechzigmal zitiert Thomas den aristote-lischeri Leitsatz: „Bonum commune muititudinis est malus et divinius quam bonum unius“ (das heißt „das Gemeinwohl der Gesellschaft ist bedeutsamer und höher als das Wohl des einzelnen“). Die spätere Seholaetik formuliert das so: Das Gemein, wohl ist artverschieden vom Einzel-wohl und das Gemeinwohl geht vo: Einzelwohl. Das waren nur sozialethische Sätze, denen eine Sozial-ontologie, das heißt eine Analyse dej sozialen, gesellschaftlichen Wirklichkeit, des sozialen, gesellschaftlichen Seins noch fehlte. Diesi sozialontologische Frage wurde ers in der Neuzeit angegangen. Erst ii der Neuzeit wurden die natürlicher Menschenrechte und die Sozialrecht&#171; ausführlich untersucht und dargelegt. In diesem Zusa>mmenhanf möchte ich unter anderem Professoi 'Johannes Messner ehrenvoll erwähnen. Er hat nicht zuletzt auf di< pluralistische Struktur des Gemeinwohls hingewiesen — es sind die: die innerstaatlichen kleineren Gemeinschaften wie Familie, nachbarliche Gemeinschaft, Berufsgemeinschaft, die Bundesländer und anderes. Diese Gemeinschaften präget den einzelnen stärker als die staatliche Zugehörigkeit. Messner hat mi Recht darauf hingewiesen, daß di< Familie „in der Sozialontologie de: Gemeinwohles so ganz an den Ranc gedrückt blieb“. Die Familie ist js die Zelle des Gemeinwohles nich nur im biologischen, sondern auch in

Ontologisch besteht die Gemein-wohlwirklichkeit aus zwei Komponenten: Aus dem Ergebnis der gesellschaftlichen Kooperation der Menschen als Glieder der Gemeinschaft und aus der Tatsache, daß die Glieder der Gemeinschaft damit ihre personale Existenz verwirklichen, zu ihrem wahren Selbst gelangen können.

Um das Wesen des Gemeinwohles zu erfassen, müssen wir außerdem unterscheiden zwischen einem statischen und einem dynamischen Begriff. Der statische Begriff vermag nur einen jeweils verwirklichten Zustand des Gemeinwohles anzugeben. Er ist identisch mit allgemeiner Wohlfahrt und bedeutet, daß die Bedingungen der Lebensgestaltung für alle einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft möglichst günstig sind. Daneben gibt es aber auch einen dynamischen Gemein-wöhlbegriff als Entwicklungsprozeß, welcher der dauernden personalen Entfaltung des Einzelmenschen entspricht.

Die soziale Wirklichkeit und damit das Gemeinwohl mit seinen wechselseitigen Beziehungen zum Einzel-menschen ist also mannigfaltig, pluralistisch und dynamisch und nicht nur statisch.

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