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… gibt's nicht! Der Streit um den EU-Reformvertrag, Russlands Muskelspiele oder Chinas Rundumschlag haben einen Auslöser: Der Kapitalismus lässt seinen Zwilling Demokratie im Stich.

Der Europäischen Union ist nun endgültig das passiert, was der grüne EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber einmal in einem Furche-Gespräch befürchtet hat: Sie ist in die "Gasse des Zorns" geraten, "in der jede Initiative, jeder Gesetzesvorschlag durch Volkes Zorn zerstückelt wird". Zu Unrecht, denn der EU-Reformvertrag ist nicht so schlecht, wie die Kritik von weit links bis noch weiter rechts und vom populistischen Boulevard dazwischen jetzt tut. Die EU-Verfassung, die im Mai vor drei Jahren vom österreichischen Parlament sang- und klanglos und fast einstimmig ratifiziert worden ist, wäre besser gewesen. Und der Verfassungsentwurf des EU-Konvents, bevor ihn die europäischen Staats- und Regierungschef durch ihren nationalen Reißwolf gedreht haben, wäre noch besser gewesen.

Doch dieser Reformvertrag ist die beste aller derzeit möglichen Verfassungen für die Europäische Union - die Verhandlungspositionen wurden ständig bis ins letzte ausgereizt. Der Verfassungskonvent ist immer wieder vor dem Scheitern gestanden, und die anschließenden Regierungskonferenzen sind jedes Mal, wenn es um die Verfassung gegangen ist, zu einer Nacht der langen Messer ausgeartet - da ist um Positionen gestritten worden, da sind Ideologien aneinander geraten, da wollten alle ihr großes Europa verwirklichen, und zum Schluss ist ein kleineres Europa aller herausgekommen. Dass der Reformvertrag, der die Union (immer noch zuwenig) demokratischer und (immer noch zuwenig) funktionsfähiger macht, jetzt in Nacht- und-Nebel-Abstimmungen durch die nationalen Parlamente gepeitscht wird, ist ein schäbiges Ende und ein wirklicher Wermutstropfen, den sich der sechsjährige EU-Verfassungsprozess nicht verdient hat.

Der Auftrag, mit dem der Konvent für eine Europäische Verfassung im Frühjahr 2002 gestartet ist, hat gelautet: Europa den Bürgerinnen und Bürgern näher bringen! Dieselben Bürgerinnen und Bürger jetzt nicht über ihren Reformvertrag abstimmen zu lassen, ist ein Schande. Die leicht zu verhindern gewesen wäre, wenn man sich von vornherein für ein europaweites Referendum an einem Tag mit einem europaweiten und nicht nationalen Ergebnis entschieden hätte. Zu spät, die Milch ist verschüttet, jetzt muss man aufpassen, dass sie nicht auch noch anbrennt - und bei jeder Volksabstimmung in Österreich über den Reformvertrag würde dieser brennen. Denn jetzt ist die EU in der Gasse des Zorns.

In der letztwöchigen Zeit wird eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung präsentiert, laut der nur mehr 15 Prozent der Deutschen glauben, dass es in der Bundesrepublik gerecht zugeht. Bei allen Unterschieden zum Nachbarn, in dieser Frage werden die Österreicher nicht viel anders denken. Und das ist der eigentliche Grund für den Zorn, der immer mehr um sich greift und in dessen Gasse die EU geraten ist. Was sonst? Die Globalisierung? Die nationalen Politiker? Beim einen fehlt die Telefonnummer, bei den anderen weiß man, dass ein Anruf nichts mehr nützt. Und der, den es wirklich angeht, hebt nicht ab: der Kapitalismus. Der meint, er braucht seinen Zwilling Demokratie nicht mehr. Er hat nach China geschaut und nach Russland, und dort boomt die Marktwirtschaft ohne Freiheit, ohne Demokratie und ohne Herrschaft des Rechts. Und was im Osten gut ist, soll im Westen billig sein. Wenn die Demokratie durch ihre langen Entscheidungsprozesse das Wachstum bremst, dann kann weniger davon mehr sein.

Ein fataler Irrtum: Die Chinesen haben das bereits erkannt und suchen fieberhaft danach, ihren wirtschaftlichen Aufstieg mit Demokratiemodellen auf lokaler Ebene abzustützen. In Russland ist man noch nicht so weit, da blenden Putins Glanz und die Petrorubel noch zu sehr, um den unabdingbar notwendigen Zusammenhang zwischen einer freien Wirtschaft und einer freien Gesellschaft zu verstehen.

Und um neben Voggenhuber noch einen zweiten Grünen zu zitieren: "Die Moderne gibt es ganz oder gar nicht", sagt Joschka Fischer, "weil durch den technologischen und sozialen Wandel in der Gesellschaft Kräfte und Spannungen freigesetzt werden, die ohne demokratische Antworten nicht aufgefangen werden können." Nicht in China, nicht in Russland, nicht in der EU - und wer sich nicht daran hält, landet unweigerlich in der Gasse des Zorns.

wolfgang.machreich@furche.at

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