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Ein Land, das von heute auf morgen ein Rauchverbot in allen Pubs und Kneipen durchsetzt, hätte schon früher Misstrauen erwecken sollen. Doch bei Irland lassen alle gesunden Reflexe aus: Weil es so grün ist, dass österreichische Schriftsteller, denen es in Österreich zuwenig grün geworden ist, dorthin auswandern. Weil es so gescheit ist, dass die schönsten Segensprüche und die klügsten Zitate von dort kommen: "Wer einen großen Stein aufhebt, zeigt damit, dass er ihn nicht werfen wird!" Stimmt zwar nicht, aber was so schön ist, muss nicht auch noch richtig sein. Wie auch immer: Die Iren haben den Stein geworfen!

Vielleicht hat es am Datum gelegen, am Wetter oder an der mangelnden Aufklärung? Wobei es immer einen schalen Beigeschmack hat, wenn ein Volk, das nicht so abstimmt wie verordnet, kollektiv als unaufgeklärt, ja dumm hingestellt wird. Die Ratlosigkeit und das Entsetzen stand der politischen Elite Irlands und Europas jedenfalls an diesem Freitag dem 13. ins Gesicht geschrieben. Wochenlang hatten Politiker quer durch die Bank für ein Ja zum EU-Reformvertrag getrommelt. Doch am Ende stürzten exakt 862.415 Iren mit ihrem Nein zum Vertrag von Lissabon die ganze EU und ihre fast 500 Millionen Einwohner in eine ungewisse Zukunft.

"Das ist ein sehr trauriger Tag für unser Land und für Europa", bekannte der irische Finanzminister Brian Lenihan. Schon in der Früh hatte sich das Grauen, das zuvor viele befürchtet, aber wenige wahrhaben wollten, abgezeichnet. Wenige Stunden, nachdem die ersten inoffiziellen Ergebnisse eingetröpfelt waren, meldeten sich Regierungsvertreter mit Eingeständnissen der Niederlage zu Wort - als hätten sie geahnt, dass die Iren wie schon einmal vor sieben Jahren, der EU wieder das Fürchten lehren. Damals hatten die Bürger den Vertrag von Nizza abgelehnt. Als einziges der 27 EU-Länder ließ Irland - per Verfassung dazu verpflichtet - auch diesmal die Bürger über das hochkomplexe Vertragswerk von Lissabon abstimmen - und die Bürgerinnen und Bürger sagten: Nein!

Nun hat das Spiel auf europäischer und irischer Ebene begonnen, wem man den Schwarzen Peter zuschieben kann. Die Oppositionspolitikerin Mairead McGuinness hatte schnell drei Gründe parat, die das Referendum zum Scheitern brachten: "Erstens, dass der Ministerpräsident selbst das Dokument nicht gelesen hat, zweitens, dass der irische EU-Kommissar es nicht gelesen hat und drittens, dass irische Frauen fürchteten, dass ihre Kinder in eine europäische Armee eingezogen werden." McGuinness hat wahrscheinlich mit allen drei Gründen recht, richtig sind sie trotzdem nicht.

"Die Gegner des EU-Verfassungsbertrags konnten eine Reihe von falschen Gerüchten in die Köpfe der Menschen einpflanzen, bevor die Ja-Seite zum Zuge kam", sagte Pat Rabbitte, der einstige Chef der Labour-Partei. Von Gerüchten, dass durch die EU das katholische Irland Abtreibungen legalisieren muss, über das Schreckgespenst der Steuererhöhungen bis hin zur Angst vor einer europäischen Armee: Die wenigsten Wahlberechtigten konnten am Ende Wahrheit von Angstmacherei unterscheiden. Auch die Horror-Szenarien, die den Iren aus dem Ausland angedroht wurden, wenn sie den Vertrag nicht ratifizieren sollten, riefen bei den meisten Stimmberechtigten Trotzreaktionen hervor. Selbst die in Irland so beliebte deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei ihrem Werbebesuch für Lissabon vor wenigen Wochen offensichtlich keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Dabei sind die Iren bei weitem kein europafeindliches Land, wie selbst die Gegner immer wieder betonten. Lange galten sie als Mustereuropäer - hatte doch die einst arme Insel doch so stark von dem Beitritt der EU vor 35 Jahren profitiert und sich zum "Keltischen Tiger" aufgeschwungen. Der Wirtschaftsboom kam aber zuletzt bei immer weniger Menschen, gerade auf dem Land, an. Die Arbeitslosigkeit stieg mit 5,4 Prozent im Mai auf den höchsten Stand seit 1999. Und "die EU ist zu einem Heißluftballon geworden, sie ist aus der Reichweite der normalen Menschen geflogen", sagt der Dubliner Bauarbeiter Paul McGorian und begründet damit sein Nein zum EU-Vertrag. Was nun passieren soll, weiß keiner - nicht auf der Insel, nicht in der EU: "Wir befinden uns in unsicheren Gewässern", sagte der irische Justizminister Dermot Ahern. Doch vielleicht setzt sich ja doch eines der irischen Zitate durch, die zwar ansonsten sehr oft nicht stimmen, aber so wunderschön sind: "Reue ist Klugheit mit Verspätung!"

Wolfgang Machreich

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