Irland galt als Vorbild bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise. Doch der harte Sparkurs der Regierung gefährdet das 31. Mai-Referendum zum EU-Fiskalpakt.
"Wo ist hier die Rezession?“, fragt der Taxifahrer bitter und passiert die Edelboutiquen der Dubliner Innenstadt. Wer tagsüber durch die Einkaufsmeile Grafton Street spaziert, könnte meinen, die schlechten Wirtschaftsnachrichten seien wie weggeblasen. Frauen in Pelzmantel promenieren mit Prada-Taschen, Geschäftsmänner in maßgeschneiderten Anzügen huschen vorbei, vor dem Luxushotel Shelbourne am St. Stephen’s Green halten Nobelkarossen. Es ist, als hätte es die Krise nie gegeben.
Doch der Schein der noblen Gassen entpuppt sich sofort als Trugbild sobald man das edle Viertel verlässt: An fast jeder Straßenecke stehen Immobilien zum Verkauf. Wohnungen, Büroräume, Einfamilienhäuser. "To let“ und "For sale“ prangt in großen Lettern vor den Backsteinhäusern im georgianischen Baustil. Sicher, alles gute Adressen. Allein: Es fehlt an Interessenten. Solange die Makler auf ihren Objekten sitzen bleiben, können die Gläubiger nicht befriedigt werden. Und das sind in erster Linie die Banken.
Drückende Altlasten der Krise
Die Allied Irish Banks (AIB), eines der größten Finanzinstitute, weist faule Hypothekenkredite im Wert von 43 Milliarden auf - Altlasten aus der Immobilienkrise. Das Problem: Die staatliche Auffanggesellschaft NAMA (National Asset Management Agency), die etwaige Ausfälle kompensieren sollte, besitzt nicht das Kapital, um die Hypotheken in Gänze zu übernehmen. Denn auch andere Banken wie die Irish Bank bilanzieren unsichere Darlehen in Milliardenhöhe. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder das Kapital der NAMA wird weiter aufgestockt. Oder die Banken müssen die Schrottpapiere endgültig abschreiben. In jedem Fall haftet der Staat und damit der Bürger.
"People are pissed off“, sagt der Taxifahrer harsch und fasst fester an sein Lenkrad. Die Sicherheit vergangener Jahre gebe es nicht mehr. Das irische Lohnniveau ist seit 2009 tatsächlich kontinuierlich geschrumpft. Allein in den letzten beiden Jahren wanderten 100 000 qualifizierte Arbeitskräfte ins Ausland ab. Premierminister Kenny kündigte an, den Abwanderungstrend zu stoppen. Doch ohne attraktive Arbeitsplätze wird der "Braindrain“ unvermindert anhalten. Zwar konnte die jährliche Neuverschuldung auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt werden. Die Arbeitslosigkeit ist mit 14 Prozent aber nach wie vor hoch. Und die Binnennachfrage brach seit Beginn der Bankenkrise um 20 Prozent ein.
Im Fischerdorf Hoath an der Ostküste Irlands ist diese Entwicklung spürbar. Zwei Männer fertigen in einer Werkstatt Netze für Fischerboote. "Früher haben wir noch zwei Netze im Jahr verkauft, jetzt ist es gerade einmal eines in 16 Monaten.“ Für ein kleines Fischernetz bekomme man 2000 bis 3000 Euro, ein großes bringt bis zu 6000 Euro. Doch weil immer weniger Fischerboote in See stechen, brauchen sie auch nicht so oft neues Material. "Ich werde beim Referendum mit Nein stimmen“, sagt ein Arbeiter trotzig. In seinem Bekanntenkreis kenne er niemanden, der dafür sei.
Tatsächlich könnte das Referendum über den Euro-Fiskalpakt am 31. Mai zu einer Abrechnung mit der Regierung werden. Die wurde zwar erst 2011 ins Amt gewählt, doch ihre Politik ist schlecht beleumundet. Straßenhändler Vincent aus Südafrika, der an seinem Stand am Canal in Dublin Schnitzel verkauft, meint: "Ich glaube, dass die Wähler der Regierung einen Denkzettel verpassen werden. Sie haben die Sparmaßnahmen satt.“ Die Investment-Banker würden immer reicher, der kleine Mann müsse darben.
EU-Verweigerungstendenzen
Bereits 2001 und 2008 hatten die Iren ihrer Regierung die Gefolgschaft in EU-Angelegenheiten verweigert. Die EU-Verträge von Nizza und Lissabon wurden in Bausch und Bogen abgelehnt. Erst im zweiten Anlauf konnten die Verträge ratifiziert werden - die Politiker musste einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Und auch dieses Mal könnte es sein, dass die Iren der Regierung ein Nein vors Kontor knallen - mit unkalkulierbaren Folgen für den Euro.
Eigentlich ist Premierminister Enda Kenny nicht der Mann, der mit dem Feuer spielt. Der seriöse Sachwalter genießt in Brüssel hohe Akzeptanz. Kenny hat den Vertrag bereits unterzeichnet - und zeigt sich zuversichtlich. "Der Fiskalpakt ist im nationalen Interesse Irlands. Ich bin fest der Meinung, dass die Mehrheit dem Vorhaben zustimmen wird.“
Doch eine "gemähte Wies’n“ wird die Abstimmung nicht. Die Gewerkschaften kündigten eine Kampagne an, die Opposition wirft dem Taoiseach Täuschung und Panikmache vor. Der sozialistische Abgeordnete David Higgins zürnte, die Leute würden "mit dem Rohrstock eingeschüchtert“, um mit Ja zu stimmen. Das Argument, der Internationale Währungsfonds gebe bei einem ablehnenden Votum keine Gelder frei, sei fehlgeleitet und schüre Ängste. Man könne auch bei einem Nein weiterhin Hilfskredite bekommen.
Nicht nur in der Opposition wächst das Unbehagen gegen die Brüsseler Bürokratie - auch die irische Presse argwöhnt gegenüber den europäischen Entscheidungsträgern. "Die neuen selbsternannten Führer oktroyieren der Gemeinschaft ihre Sichtweise auf“, schreibt die Irish Times. Der Fiskalpakt sei ein "zahnloser Tiger“ und die automatischen Sanktionen eine "Bürde“ für die ums Überleben kämpfenden Peripherieländer.
Kritiker befürchten, dass das Sparprogramm das Wachstum abwürgen könnte und Irland in eine neuerliche Rezession stürzen könnte. Nach der Bankenkrise musste Irland als erstes Land unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen. Trotz milliardenschwerer Hilfskredite konnte sich die Wirtschaft nicht erholen. Zwar weisen die Statistiken für 2011 ein Plus von 0,7 Prozent aus. Im 4. Quartal aber rutschte Irland zurück in den Abschwung. Die schlechten Wirtschaftsdaten sind Wasser auf die Mühlen der Euroskeptiker.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Befürworter der Union. "Wir gehören zu Europa“, betont Brenda King vom irischen Fremdenverkehrsamt. "Wir sind abhängig vom Kontinent, exportieren eine Menge Güter. Und natürlich kommen viele Touristen jedes Jahr hierher.“ Im Jahr 2011 verzeichnete das Fremdenverkehrsamt 6,7 Millionen Besucher. Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor auf der Grünen Insel. Die Einnahmen beliefen sich auf 3,1 Milliarden Euro fürs abgelaufene Jahr. Die Fluggesellschaft Aer Lingus baut ihr Streckennetz stetig aus und beförderte im letzten Jahr knapp 10 Millionen Passagiere.
Kleine Hoffnungsschimmer
Irland kommt zugute, dass die Wirtschaft nicht inlandsmarkt-orientiert ist, wie das etwa in Griechenland oder Portugal der Fall ist. Die stabilen Exporte wiegen die schwache Inlandsnachfrage auf. Allerdings: Die globale Verwobenheit der irischen Wirtschaft birgt auch Risiken. Zum einen ist die Weltmarktentwicklung schwer abschätzbar. Zum anderen könnten aus der Schuldenkrise Südeuropas weitere Probleme erwachsen - die Ansteckungsgefahr ist noch nicht gebannt.
Der Fiskalpakt soll die Haushaltsdisziplin der Euro-Länder festschreiben und eine feuerfeste Brandmauer um die Eurozone schmieden. Beim irischen Referendum wird es nicht nur um die europapolitische Positionierung des Landes, sondern auch um die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion gehen. Ein Ausscheren Irlands könnte die Finanzmärkte weiter verunsichern. Bereits die Ankündigung des Referendums ließ den Euro-Kurs sinken. Die Staats- und Regierungschefs wollen dies um jeden Preis verhindern. In Brüssel setzt man einmal mehr auf das Prinzip Hoffnung - und auf die Vernunft der irischen Wähler.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!