Tourismus als Glück und Herausforderung

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Zwischen Spätsommer und Herbst waren die Ferien endgültig zu Ende. Wer sich bis dahin keinen Urlaub gebucht hat, macht meist auch für längere Zeit keinen mehr. Die Kleinen zeigten es vor: Die Schule hat begonnen, jetzt wird gearbeitet. Zur Erinnerung an laue Sommernächte konnte man noch Fotos in diversen sozialen Netzwerken posten oder, entwickelt, ins Album kleben. Reisen ist ein Statussymbol, über das man gerne redet: Ach, da war dieser herrliche Sonnenuntergang auf Kreta und dieses kleine, feine Fischrestaurant in Marseille. Noch leichter ist es, online mit einem Klick allen Freunden imponieren zu wollen. Im Herbst ist es auch an Portugals Küste vorbei mit surfen. Das Nachtleben von Lissabon dagegen hat immer Saison. Gerade diese Stadt hat ja so viel zu bieten: Beduselt vom Weichsellikör Ginjinha, der an den Straßenecken im Zentrum verkauft wird, braust man auf den typischen gelben Straßenbahnen durch die engen Gassen, vorbei an den mit malerischen Keramikfliesen verzierten Häusern.

Folgt man der Richtung der grünen U-Bahn-Linie hinaus aus dem eigentlichen touristischen Zentrum, gelangt man in fünfzehn Minuten zu Fuß zum "Largo do Intendente", einem einladenden Platz mit hübschen Cafés, Restaurants und Bars. Ein kleines Buchantiquariat gibt es hier und einen teuren, aber stilvollen Souvenirshop. Ein Teil der Häuser ist schon frisch renoviert, ein anderer kurz vor dem Abriss.

Auf dem "Largo do Intendente" sitzt eine Gruppe von Personen auf Plastikstühlen im Kreis. Es gibt zwei Mikros, die herumgereicht werden. Alles läuft sehr diszipliniert ab. Geredet wird über die Zukunft des Viertels und die Entwicklung des Platzes.

Wachstumsprognose verdoppelt

Mit dabei ist Amado. Der junge Belgier studiert in Lissabon Architektur. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Stadtentwicklung und ganz besonders mit diesem Platz. "Jedes Viertel hat eigene Probleme", sagt er. Früher seien es hier der Drogenhandel und Prostitution gewesen. Amado engagiert sich in einer Gruppe von Leuten, die auf dem Largo ein Kulturprogramm veranstalten. Es nennt sich "Bairro Intendente em festa". Es gibt gratis Konzerte, Filmvorführungen und Bücherflohmärkte. Aber auch diese Gesprächsrunden, wo über die Zukunft des Wohnraumes und die Immobilienspekulation diskutiert wird. Denn: "Seit dem Jahr 2010 hat sich der Largo sehr verändert." Die Preise würden rapide steigen, Vintage-Shops und Hipster-Cafés aus dem Boden sprießen. Jetzt würde im Zuge einer Renovierung sogar eine alteingesessene Bar verdrängt. Besitzer brauchen den Platz für neue schicke Wohnungen für Touristen. Die zahlen mehr, darum vermieten manche das ganze Jahr über mittels der beliebten Buchungs-Plattform AirBnB.

Eigentlich sollte sich ganz Portugal über den Tourismus freuen. Ist er doch ein fixer Bestandteil des wirtschaftlichen Aufschwunges nach zähen Jahren der Krise. In Lissabon gab es 2016 insgesamt 9.717.718 Nächtigungen (inkl. Inlandstourismus). Davon fiel ein kleiner Teil auf die Österreicher, nämlich 91.847. Im Jahr 2015 waren es insgesamt 9.061.077 Nächtigungen, die Österreicher steuerten 76.901 bei. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang die Einwohnerzahl Lissabons (ohne Metropolregion), sie beträgt nämlich nur rund 545.000. Und die Zahl der Touristen ist im Steigen begriffen. Deshalb wird ein zweiter Flughafen geschaffen, um dem Besucheransturm gerecht zu werden.

Steigend ist auch das Wirtschaftswachstum. Portugals Notenbank prognostiziert dieses Jahr ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 2,5 Prozent (2016 waren es 1,4 Prozent). Besonders überraschend ist das alles, weil Portugal jahrelang in der Schuldenkrise steckte und heftige Spar-und Reformmaßnahmen zu überstehen hatte. 2011 musste Portugal insgesamt 78 Mrd. Euro von der EU und dem IWF in Anspruch nehmen, um eine Staatspleite zu verhindern. Die damalige konservative Regierung nahm tiefe Einschnitte im Sozialsystem vor und trieb die Bürger auf die Straßen. Die größten Demonstrationen standen unter dem Motto "Que se lixe a Troika!" ("Haut die Troika in den Müll"). Gut drei Jahre dauerte die Zeit unter dem EU-Rettungsschirm, seit Mai 2014 steht das Land finanziell wieder auf eigenen Beinen.

Seit 2015 zahlt Portugal den IWF-Anteil vorzeitig zurück, weil der IWF höhere Zinsen als die Europäer verlangt. Dieser beurteilt die Aussichten für die Konjunktur in Portugal deutlich optimistischer als noch vor einigen Jahren und hat seine Wachstumsprognose sogar fast verdoppelt.

Doch die Regierung ist eine andere. Denn das konservative Wahlbündnis ging 2015 zwar als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervor, verpasste aber die absolute Mehrheit und stand ohne Koalitionspartner da. Und so kam es, dass die zweitplatzierte Sozialistische Partei (PS) ein Minderheitskabinett bildete, das von den übrigen Parteien im Parlament gestützt wird: dem Linksblock (BE) sowie den Kommunisten (CDU). Seitdem heißt der Premierminister António Costa. Dieser prägte auch den Namen dieser Regierungsform. Von Journalisten gefragt, wie das denn mit dem Linksblock und den Kommunisten funktionieren solle, meinte er, man werde sich da schon etwas einfallen lassen, irgendeine "geringonça" machen -seitdem wird die jetzige Regierungsform so bezeichnet. "Geringonça" kann mit "Konstrukt" oder wienerisch "Werkl" übersetzt werden und wurde zum Wort des Jahres 2016 gewählt. Jedenfalls läuft das Werkl, zur Überraschung vieler Beobachter von den Finanzinstituten. Vielleicht liegt es daran, dass bisher keine radikalen Schritte gesetzt wurden.

Der Mindestlohn wurde angehoben, die vielgehasste Zusatzsteuer gekürzt -aber eben moderat. Bei der Fluglinie TAP, die privatisiert werden sollte, ist der Staat jetzt doch wieder mit 50 %dabei. Und jetzt vor den Gemeinderatswahlen kündigte der Premierminister und ehemalige Bürgermeister von Lissabon an, sich ums Wohnen und die Mietpreise zu kümmern und erklärte sie zu den wichtigsten Themen der zweiten Hälfte der Legislaturperiode.

Die einstige konservative Regierung nahm tiefe Einschnitte im Sozialsystem vor und trieb die Bürger auf die Straßen. Seit Frühjahr 2014 steht das Land finanziell wieder auf eigenen Beinen.

"Es ist fragil, aber es funktioniert"

Doch der Tourismus beschränkt sich nicht nur auf die Hauptstadt. Beliebt ist auch die zweitgrößte Stadt, Porto. Dort kann man am Fluss Douro sitzend Portwein trinken oder die zahlreichen Sakralbauten besichtigen. Einer, der sich beim Tourismus auskennt, ist der Universitätsprofessor João Teixeira Lopes. Der Soziologe beschäftigt sich in seiner Forschung genau mit den aktuell so wichtigen Fragestellungen. Doch er ist nicht nur ein Mann der Akademie, sondern war auch Abgeordneter für den BE im nationalen Parlament und ist nun dessen Bürgermeisterkandidat bei den Gemeinderatswahlen in Porto, wo der BE bislang in Opposition ist. Zur "geringonça" findet der Kandidat lobende Worte: "Das Abkommen ist gut, weil wir unsere Identität behalten können. Jede Partei kann weiterhin ihre eigenen Ziele definieren. Ja, es ist fragil, aber es funktioniert."

Doch bei den anstehenden Wahlen geht es um die Probleme in Porto, und da ganz besonders um den Tourismus. Dieser sei selbstverständlich nicht per se schlecht, müsse aber gelenkt werden: "Porto ist eine der größten Touristendestinationen in Europa. Ich habe nichts gegen Tourismus, er ist wichtig, um kulturelle Vielfalt zu schaffen und ein Gefühl von Kosmopolitismus entstehen zu lassen. Aber Tourismus ist auch ein Problem, vor allem im Zusammenhang mit der Immobilienspekulation. Die Stadt hat in den letzten vier Jahren 5.000 Einwohner verloren," so Teixeira Lopes. Deshalb fordern er und seine Partei eine Tourismus-Steuer, wie es sie auch in Lissabon gibt und einen Baustopp für neue Hotels.

Man wird sehen wie Bürger am 1. Oktober entscheiden und wie die Parteien der "geringonça" abschneiden. Die Lenkung des Tourismus und das Vorgehen gegen die Wohnungsknappheit sind jedenfalls aktuelle Herausforderungen für Portugals Linke. Sollte es bei der Lösung dieser Probleme vorwärts und mit der Wirtschaft weiter aufwärts gehen, dann könnte diese Regierungskonstellation gar noch zum Modell für andere Länder werden.

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