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Heiliges Rußland bringt Rettung

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Zur Zeit gibt es in Rußland mehr als 250 politische oder weltanschauliche Bewegungen. Politische Kompromisse und Koalitionen kennt man aus der Vergangenheit nicht. So bekämpft man sich - sowohl in den Medien wie in der Duma - mit Erbitterung. Gleichzeitig aber gibt es Wanderbewegungen von Politikern von einer Gruppe zur anderen, zumal' Parteiprogramme keine Attraktivität ausstrahlen. Gewählt werden Politiker, nicht Parteien.

Der ersehnte Rechtsstaat ist nicht entstanden... Unter den zahlreichen Mordopfern sind Politiker, Geschäftsleute und Journalisten. Nur selten gelingt es der Justiz, die Hintergründe eines Mordes aufzudecken.

Die Distanzierung vom Marxismus-Leninismus und das krampfhafte Festhalten an der historischen Größe Rußlands haben erneut zu altbekannten Ideologien geführt. Zum einen wurde auf die Slawophilen des 19. Jahrhunderts zurückgegriffen. Sie hatten den Standpunkt vertreten, daß Rußland keinen Bedarf an westlichem geistigen Import habe. Die westliche Demokratie sei nicht geeignet für Rußland, ebensowenig Aufklärung, Rationalismus, auch nicht Katholizismus oder Protestantismus. Es sei gerade umgekehrt: Nur Rußland - das heilige Rußland - könne dem Westen die Rettung bringen. Dieser Rückgriff findet auch in den Kreisen der russisch-orthodoxen Kirche Zustimmung. Eine andere - öfters damit verquickte - Ideologie ist die Geopolitik. Sie geht von den geographischen Grenzen Rußlands als einer Art naturgesetzmäßiger Ausformung aus. Unter den verschiedenen Spielarten der Geopolitik ist besonders die Variante des Führers der „Liberaldemokratischen Partei” Schirinowski bekannt geworden. Nach seiner Interpretation müßte der politische Einflußbereich Rußlands bis zum Indischen Ozean reichen. Im übrigen - sozusagen nebenbei - sieht er unter dem Gesichtspunkt der Geopolitik eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland für notwendig an.

Eine gewisse Nähe zu den geopoli-tischen Varianten hat die Ideologie der „Eurasier”. Sie sehen Rußland als eine historisch-kulturelle Komposition aus Europa und Asien an, die gegenüber Europa und Asien grundsätzliche Unterschiede aufweist... Auch diese Ideologie lehnt die europäische Demokratie ab. Zwischen diesen und anderen weltanschaulichen Richtungen und Mischideologien darf man die Demokraten nicht vergessen, die ihren Blick auf das Vorbild der westlichen Demokratie werfen.

Gerade unter Journalisten und Publizisten finden sich mutige Vertreter, so zum Beispiel in dem einstigen Regierungsorgan „Iswestija” und dem einstigen Organ für Auslandspropaganda „Moskowskie nowosti”. In der Duma überwiegen jedoch die Gegner einer demokratischen Entwicklung.

Mehr oder weniger scharf ausgeprägt geistern alte und neue Feindbilder durch die Massenmedien. Den einstigen Republiken wird durchweg Undankbarkeit vorgeworfen, ebenso den Nachbarstaaten wie Polen ... Nationalchauvinisten,. Kommunisten, russische Faschisten halten an ihren alten Feindbildern fest: Die USA, die kapitalistischen Staaten nutzten die Schwäche Rußlands aus, um sich zu bereichern und Rußland zu demütigen. Eine üble Hetze richtet sich gegen die angebliche jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung. Mit einer unterschwelligen Angst schaut man auf die außenpolitischen Ambitionen der Türkei und des Iran, auf den islamischen Fundamentalismus. In diesem mit teilweise völlig unsinnigen Argumenten ausgetragenen Streit der Meinungen können sich die Bürger kaum noch zurechtfinden.

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