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GROSSRUSSEN, ANTIKATHOLISCHE UND WESTLER

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Die russischen Christdemokraten hatten sich noch vor dem mißglückten kommunistischen Staatsstreich im August 1992 in drei grundunterschiedliche Fraktionen geteilt. Die ursprüngliche Zielsetzung - die Demontage der kommunistischen Herrschaft - hielt sie jedoch zusammen.

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Die russischen Christdemokraten hatten sich noch vor dem mißglückten kommunistischen Staatsstreich im August 1992 in drei grundunterschiedliche Fraktionen geteilt. Die ursprüngliche Zielsetzung - die Demontage der kommunistischen Herrschaft - hielt sie jedoch zusammen.

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Insgesamt fünfzehn christdemokratische Kandidaten zogen in das russische Parlament mit dem Ziel, die kommunistische Ideologie aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Ihnen gelang insbesondere die Verabschiedung eines Gesetzes über die Reli-gions- und Gewissensfreiheit, die Wiedereinführung arbeitsfreier christlicher Feiertage, und auf ihre Bemühungen gehen die ersten Rückgaben von kirchlichem Eigentum zurück. Christdemokratische Persönlichkeiten wie die Geistlichen Wjatscheslaw Polosin und Gleb Jakunin gaben der jungen parlamentarischen Demokratie das moralische Rückgrat, den kommunistischen Putsch abzuwehren. Als Hierarchen des Moskauer Patriarchats zunächst zögerten, die Kommunisten und den Staatsstreich zu verurteilen, waren christdemokratische Aktivisten

- Priester und Laien - nicht nur unter den Verteidigern des „Weißen Hauses”, sondern auch unter den putschenden Soldaten stets aktiv. Die Christdemokraten schlugen kein politisches Kapital aus ihren Leistungen. Der Putsch hatte sie nur kurzfristig zum gemeinsamen Handeln vereinigt.. Seitdem sind sie wieder untereinander gespalten. Drei miteinander konkurrierende christdemokratische Parteien haben sich inzwischen etabliert. Außer einem gemeinsamen Bekenntnis zur christlichen Sozialethik finden sie kaum Inhaltspunkte für ein einheitliches politisches Handeln.

„Wir distanzieren uns kategorisch von der Linie der Führung der Russischen Christdemokratischen Bewegung (RCDB) und von jeglicher Zusammenarbeit mit probolschewistischen, prokommunistischen und chau-vinistischen Bewegungen”, so lautet eine junge, einstimmig beschlossene Resolution der Regionalführung dieser Partei in Orlow. Die RCDB mit etwa 60.000 Mitgliedern hat einen Rechtsruck begangen und sich liiert mit einer Vielzahl von „patriotischen Kräften”, die monarchistisch, antisemitisch, antiwestlich, antikatholisch, „großrussisch” sind. Die Prädikate gehen auf die Ursachen zurück, die diese Kreise für den Zerfall Rußlands als politische und wirtschaftliche Macht verantwortlich machen. Der Anführer der RCDB, Wiktor Aksju-tits, einst kompromißloser Kritiker von Boris Jelzin, hat jüngst die Verordnung, des russischen Präsidenten begrüßt, den Rückzug der Roten Armee aus dem Baltikum bis auf weiteres einzustellen. Die RCDB, die 1991 eine Kommission des russischen Parlaments gebildet hatte, Beschuldigungen der Kollaboration zwischen der russischen orthodoxen Kirche und dem kommunistischen Regime zu überprüfen, ist nicht mehr an dieser Vergangenheit interessiert. Russische ethnische und kirchliche Vorrechte, die gegenwärtig in den GUS-Staaten verloren gehen, führen zum Zweckbündnis, diese zu verteidigen. Die RCDB hat in ihrem Parteiprogramm erklärt, Rußland sei der völkerrechtlich legitime Nachfolgestaat des Russischen Reichs und der Sowjetunion.

Für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und gegen die Vorherrschaft des Moskauer Patriarchats spricht sich hingegen die „Russische Christdemokratische Union” (RCDU) unter Leitung der Christdemokraten Walerij

Bortschow (Mitglied des Stadtrats von Moskau), Witalij Sawitskij und des Geistlichen Gleb Jakunin aus. Gleb Jakunin vertritt die Auffassung, daß Rußland die Kurilen-Insel an Japan zurückgeben sollte und daß das Moskauer Patriarchat von seiner kirchenrechtlichen Oberhoheit in Ländern zurücktreten muß, wo es durch die Ausweitung der kommunistischen Macht zu Lasten der örtlichen orthodoxen oder griechisch-katholischen Kirchen gefördert wurde. Ihm liegt auch daran, daß die orthodoxe Kirche ihrer kollaboristischen Vergangenheit öffentlich abschwört. Unter diesem Gesichtspunkt unterstützt Witalij Sawitskij die Interessen der russischen orthodoxen Auslandskirche. Die RCDU hat ein deutliches Bekenntnis zur zwischenkirchlichen Toleranz abgegeben. Jüngst hat sie „antikatholische Hetz-j agden” in Ostpreußen (Gebiet von Kaliningrad) verurteilt. Der örtliche Leiter der RCDU, Petro Litwint-schuk, berichtete auf einer Parteikonferenz in St. Petersburg, daß ein russischer orthodoxer Mönchspriester namens Pantolei-mon die Gemeinden dieses Raums bereits bereist und aufgerufen habe, die Orthodoxen sollen sich in Bruderschaften organisieren und Waffen ergreifen, um eine „katholische Expansion” abzuwehren. Er pflegte dabei den Papst als „Diener des Antichrists” zu bezeichnen. Der Bericht galt dem offenbar nicht isoliert zu betrachtenden Problem, christdemokratische Ideale auf der Grundlage konfessioneller Spannungen zu verbreiten. Die RCDU bildete sich aus sechzehn regionalen Gruppen, die sich von der RCDB trennten.

Die „Russische Christdemokratische Partei” (RCDP) unter Leitung von Aleksandr Tschujew ist ebenfalls eine Splittergruppe, die aus Mitgliedsaustritten aus der RCDB zustandekam.

Ihr haben sich auch einige Anhänger der „Christdemokratischen Union Rußlands” (CDUR) des einstigen Bürgerrechtlers Aleksandr Ogorod-nikow angeschlossen. Die RCDP steht in der Mitte zwischen der rechtskonservativen RCDB und der mit liberalen und sozialdemokratischen Parteien zusammenwirkenden RCDU. Während die RCDB der Parteikoalition „Russische Volksversammlung” beigetreten ist, ist die RCDU Gründerin der oppositionellen Parteikoalition „Demokratisches Rußland”. Letztere werden von Aksjutits stets als „Lumpen-Internationalisten” angeprangert.

Das Entstehen christdemokratischer Formationen begann unter russischen christlichen Intellektuellen in den achtziger Jahren. Aleksandr Ogorod-nikow, einst ein idealistischer Komsomolführer, der sich 1973 zum Christentum bekehrte und daraufhin wegen der Herausgabe des „Bulletins der christlichen Öffentlichkeit” eine zehnjährige Haftstrafe verbüßte, gründete 1989 seine Partei. Zu gleicher Zeit entstand eine christdemokratische Gruppierung um den in marxistischer Philosophie promovierten Aksjutits, der sich ebenfalls zum Christentum bekehrt hatte und seit 1987 die christliche Zeitschrift „Wybor” (Wahl) herausgab. Durch den Anbruch der Perestrojka entging er einer Verhaftung, die das KGB vorbereitete. Ogorodnikow gelang zuerst, die Christdemokraten im Ausland zu kontaktieren, Aksjutits baute aber -vor allem wegen des Ansehens von Gleb Jakunin - eine eigene Parteibasis erfolgreicher auf. Beide Parteien fanden wegen der persönlichen politischen Ambitionen ihrer Führer nie eine gemeinsame Sprache. Es hatte an Appellen zur Gründung einer allrussischen christdemokratischen Front nicht gefehlt. Der aus Weißrußland stammende Aksjutits verschließt sich dem abendländischen Modell der christlichen Demokratie, weil er orthodox und „weder ein Protestant noch Katholik” ist. Seine engsten Verbündeten sind radikalnationalistische Gruppen wie die „Nationalrepublikanische Partei Rußlands” und „Otet-schestwo” (Vaterland) geworden.

Am 7. Jänner erklärte er im russischen Femsehen die Option seiner Partei für ein traditionelles orthodoxes Gesellschaftsmodell, das „Großrußland” einst gepflegt hatte. Den „Großrussischen Staat” gelte es wiederherzustellen. Seine Partei engagiert sich übrigens für den Zusammenschluß christlicher Parteien in den Ländern Osteuropas, wo das byzantinisch-slawische Erbe vorherrscht. Die Kontakte reichen bis nach Serbien. Wegen dieses Rechtsrucks und die deutliche nationalistische Ausrichtung ist eine Vereinigung mit den anderen nach Westen orientierten russischen Christdemokraten nicht mehr in Sicht.

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