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Es gibt kein offeneres politisches System als die Europäische Union. Mit dem Ergebnis: Die Menschen sind "overnewsed" aber "underinformed".

Ein weiser Generaldirektor eines Industriebetriebs hat einmal gesagt: "Wenn ich die Konzernchefs über meinen Betrieb informieren will, schicke ich ihnen einen zweiseitigen Brief. Wenn ich sie nicht informieren will, bekommen sie von mir ein Kilo Computerausdrucke." Diese trockene Feststellung beschreibt auch ziemlich genau das Dilemma der Europäischen Union.

Man wird auf der Welt wahrscheinlich kein offeneres politisches System finden als die eu. Zwischen der ersten Idee für eine europäische Gesetzesinitiative und der endgültigen Beschlussfassung gibt es Symposien, Grünbücher, Weißbücher, unzählige Sitzungen, Tausende Internet-Seiten. Oft wird auch die Öffentlichkeit aufgefordert, ihre Meinung zu sagen. Und doch: Seit 1995 suchen die eu-Staaten nach Wegen, Europa der Bevölkerung begreiflich zu machen - Stichwort: "Communicating Europe"- mit wenig Erfolg, wie die Eurobarometer-Umfragen zeigen. Die Menschen sind "overnewsed", fühlen sich aber "underinformed", bleiben misstrauisch.

In den letzten zehn Jahren hat sich die Informationspolitik der europäischen Institutionen gegenüber den Medien deutlich verändert. Die Europäische Kommission, die noch Anfang der 1990er Jahre oft den Eindruck vermittelte, sie würde sich am liebsten von manchen umständlichen Kompromissen distanzieren, die die Mitgliedsstaaten ausgehandelt hatten, ist eine verlässliche Informationsquelle geworden. Ihre Pressesprecher bemühen sich um sachliche Einschätzungen und fachliche Erklärungshilfe auch in komplizierten Materien. Hellhörig werden muss man als Journalist nur, wenn ein Sprecher sagt, es stünde sowieso alles im Internet (siehe oben).

Polemik statt Analyse

Das Europäische Parlament ist da schon schwieriger. Zentrale Presseinformationen können sich nur auf technische Grundinformationen beschränken, wie Tagesordnungen, Termine und Telefonnummern. Inhaltlich geht es wie in jedem Parlament letztlich auch um die geschliffene Polemik, die sich oft einer sachlichen Analyse entzieht. Und weil es da auch in jeder der Fraktionen bis zu 25 nationale Delegationen gibt, die keinem Fraktionszwang untergeordnet sind, überlassen die politischen Gruppen die Öffentlichkeitsarbeit meist den Parlamentariern der einzelnen Länder, die ja oft recht unterschiedliche Interessen zu vertreten haben. Auch ohne die Einzelkämpfer im Parlament, die populistischen Hechte im politischen Karpfenteich sozusagen, ist es da oft schwierig, den Lesern, Hörern oder Sehern ein solides Bild von der (meist) sehr ernsten legislativen Arbeit zu vermitteln, die dort geleistet wird.

Bleibt noch die mächtigste Institution der Europäischen Union, der Rat, wo auch am meisten über "Communicating Europe" geredet wird. So mancher Fachminister kann bei seinen Kurzbesuchen in Brüssel seine heimatlichen innenpolitischen Instinkte nicht ablegen. Beschließt er dort mit seinen Kollegen aus den anderen Ländern etwas, was zu Hause politisch gut ankommt, dann war das sein Erfolg. War eine Entscheidung zwar nötig, kommt aber in der Heimat nicht so gut an, dann haben es halt "die in Brüssel" ihm aufgezwungen.

Probleme "wegformulieren"

Ob das Spiel aufgeht, hängt davon ab, wer die Journalistinnen und Journalisten sind, die in die Pressekonferenz des Ministers kommen. Erfahrene Korrespondenten werden alles, was ihnen merkwürdig vorkommt, nachprüfen. Das betrifft auch die beliebten Formulierungen bei Kompromissen. Das Prinzip ist einfach: Wenn zwei Regierungen sich bei einem Streitpunkt partout nicht einigen können, versuchen die besten diplomatischen Köpfe Europas, das Problem "weg zu formulieren". Das heißt, man sucht und findet auch oft einen Text, bei dem sich beide Streitparteien als Sieger darstellen können. Wenn's die Journalisten nicht merken.

Der Autor war elf Jahre Radio- und Fernsehkorrespondent in Brüssel.

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