KopfImSand - Sich wegducken kann kurzfristig eine Lösung sein, langfristig potenziert dieses Verhalten die Probleme. Entscheidungsträger, die trotz eindeutiger Umbrüche auf dem Status quo beharren,reagieren fahrlässig. - © Foto: iStock/Tomas_Handfield

Heimische Politik: Veränderung? Bloß nicht!

19451960198020002020

In Österreich hält man eisern an „Hausverstandsdosen“ fest. Das wiederum pusht die Radikalisierung. Woher die Politikscheuheit der demokratischen Parteien rührt und warum lebenswichtige Fragen auf der Strecke bleiben. Eine Lagebewertung.

19451960198020002020

In Österreich hält man eisern an „Hausverstandsdosen“ fest. Das wiederum pusht die Radikalisierung. Woher die Politikscheuheit der demokratischen Parteien rührt und warum lebenswichtige Fragen auf der Strecke bleiben. Eine Lagebewertung.

Werbung
Werbung
Werbung

Nach der sommerlichhitzigen „Was ist normal“-Debatte haben sich in den letzten Wochen wohl einige über die „Recht auf Bargeld“-Kampagne gewundert. Gewundert deshalb, weil das Zahlen mit Bargeld zwar niemand zur Disposition stellte, dennoch die Verankerung in der Verfassung verlangt wurde. Die politische Kampagne bestärkte nur, was ohnehin Sache ist. Sie wendete sich akrobatisch gegen eine nicht in der Luft hängende Veränderung.

Im symbolischen Raum nicht anstehende Veränderungen zu verhindern, ist zwar überflüssig, aber demokratiepolitisch nicht unbedingt problematisch. Die Abwehr von Veränderungen bleibt allerdings nicht auf Unwesentliches beschränkt, sondern reicht auch in Felder, in denen transformatives Handeln rasch notwendig wäre. Die menschengemachte Klimakrise ist dafür beispielhaft. Brände und Hochwasser, Hitze und Hurrikans vernichten Leben und Lebensgrundlagen, und Teile der Regierung sprechen vom Recht auf das Zahlen mit Bargeld.

Anstelle politischer Antworten, die auch subjektive Haltungsänderungen betreffen, versichert die Regierungspartei ÖVP, Veränderung sei nicht notwendig, bzw. wenn doch, dann könne diese nur in Hausverstandsdosen zugemutet werden. Klimapolitik mit Hausverstand, so das Placeborezept. Im krassen Gegensatz dazu spricht die Vorsitzende des Wirtschaftssachverständigenrats in Deutschland, Veronika Grimm, die betont, dass sich Gesellschaft und Wirtschaft gravierend ändern und auf Verzicht einstellen müssen.

Radikaler Konservatismus

Der vielstrapazierte Hausverstand wähnt sich bei den Wünschen und Möglichkeiten der Menschen, er ist offen für unterschiedliche Interpretationen und soziale Reichweiten. Sicher ist nur, dass sich die Hausverstandspolitik von Expertisen und Wissenschaft abgrenzt, dass Handeln gerade bei komplexen, globalen Herausforderungen weit hinter den vorhandenen Analysen zurückfällt. Es sollte vielmehr zum politischen Hausverstand gehören, bei den großen Transformationen auf Expertinnen mit fundiertem Wissen zu hören.

Wie ist dieser auf den ersten Blick vielleicht irrationale Politikdiskurs der Veränderungsvermeidung zu verstehen? Was motiviert Parteien des sich neu formierenden radikalen Konservatismus in Fragen des Klimas, der Migration und der Identität eine Veränderungsresistenz zur Ideologie zu erklären?

Der Spin will den Nerv einer veränderungsmüden Wählerschaft treffen. Er will dieser Kontinuität versichern, Halt mit kleinen, relativ unwichtigen Details vermitteln. Diese Taktik folgt dem bislang den Rechtspopulisten und Rechtsextremen vorbehaltenen Muster: Nicht wir, nicht Österreich muss sich ändern, sondern die Welt; etwa China, indem es weniger Kohlendioxidemissionen produziert; die anderen haben sich uns anzupassen, etwa indem sie uns in Ruhe lassen, nicht migrieren, trotz Klimawandels, der die Grundlagen frisst.

Sicherlich, die zahlreichen Krisen der letzten Jahre verlangten von Regierungen, auf Probleme zu reagieren, die nicht sie auf die Tagesordnung oder in Regierungsprogramme setzten. Manche der Antworten verunsichern Teile der Bevölkerung, belasten sie materiell, nähren die Angst, auf der Verliererseite zu stehen. Zukunftsfitte Perspektiven, auf die vertraut und aufgebaut werden kann, sind rar. Die Bevölkerung ist in gewisser Weise veränderungserschöpft, Teile sind gar wütend auf die, die an die Veränderung appellieren, für diese protestieren. Die postfaktische Verunsicherung tut ein Weiteres, um das Vertrauen in die Handelnden des politischen Systems zu schmälern. Die Sehnsucht nach Stabilität und Sicherheit, nach einer einigenden, vertrauensbildenden Zukunftserzählung, für die es sich lohnen würde, zu verzichten, scheint groß zu sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung