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Heilige Kühe wurden geschlachtet

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Die Sozialisten in Japan haben alles aufgegeben, wofür sie einmal standen: Die Anhänger sind zutiefst verunsichert.

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Die Sozialisten in Japan haben alles aufgegeben, wofür sie einmal standen: Die Anhänger sind zutiefst verunsichert.

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Der sozialistische Premier in Japan, Tomiichi Murayama, führte seine Partei in die Regierungsverantwortung, indem er eine Koalition mit dem alten Erbfeind, der Liberaldemokratischen Partei, einging, die seit Kriegsende fast ununterbrochen die Macht in Händen gehalten hatte. Dieser „Salto mortale” wird in der Tat nun zur Auflösung der sozialistischen Partei Japans führen. Um die Allianz mit den Rechten zu schmieden, schlachtete Murayama, ohne Konsultation mit seinen Parteigenossen, alle heiligen Kühe: Er billigte den Verteidigungspakt mit den USA, anerkannte die Legalität der japanischen Streitkräfte und erklärte sich bereit, diese auch UNO-Einsätzen im Ausland zur Verfügung zu stellen; dagegen waren die Genossen jahrzehntelang auf die Barrikaden gegangen. Murayama, der eigentlich dem radikalen linken Flügel entstammte, hatte seiner Partei die Existenzgrundlage entzogen.

Furcht vor völliger Annihilation

Die Quittung erhielt er bei den Oberhauswahlen im Juli. Die Wahlbeteiligung von nur 44,5 Prozent, die niedrigste bei einer landesweiten Wahl überhaupt, verrät die Enttäuschung des Wahlvolks. Die Verluste seiner Partei zeigen, daß auch seine Anhänger verunsichert sind. Seither versucht Murayama, seine Partei aufzulösen und mit Vertretern der Gewerkschaften und einigen Splitterparteien eine neue liberale Partei zu gründen, die ein

Gegengewicht gegen die sich abzeichnende Stärkung des rechten Lagers bilden könnte. Aber selbst die Auflösung bereitet ihm Schwierigkeiten.

Die Parteienlandschaft in Japan ist völlig in Verwirrung geraten. Erst eine Neuwahl des Unterhauses nach den neu geltenden Wahlkreisen könnte eine Klärung bringen, aber davor schreckt der Premier zurück, weil er die völlige Annihilation befürchtet.

Das Verschwinden der Sozialisten wäre zu bedauern, denn sie vertraten in der Vergangenheit wichtige Initiativen in der Gründung der Gewerkschaften und der Bauern-Vereinigun-gen. Übrigens: Die Geschichte des Sozialismus in Japan bildet ein Kapitel der Religionsgeschichte, denn von den sieben Gründern der Partei waren drei protestantische Pfarrer.

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