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Ausbruch aus dem Bündeghetto

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Von einem Journalisten darauf angesprochen, meinte ein lächelnder VP-Generalsekretär Dr. Withalm jüngst, es wäre selbstverständlich keine Retourkutsche des Wirtschaftsbundes auf die kürzlich vorgeschlagene interbündische Machtverschde-bung zugunsten des ÖAAB, daß zum Kapitel „Finanzen“ in der parlamentarischen Budgetdebatte auf drei Wirtschaftsbundredner bloß ein Redner der ÖVP-Arbeitnehmer gekommen war.

Sosehr es sich dabei tatsächlich mehr um Zufall denn Berechnung gehandelt haben dürfte, so wenig wird sich die Volkspartei um die Notwendigkeit im nächsten Jahrzehnt drücken können, nicht nur aus Gründen der besseren Repräsentation das Gewicht der Bünde der sozialen Wirklichkeit der ÖVP-Stamm- und Gelegenheitswählerschaft anzupassen. Das ärgste, das der ÖVP am 1. Järz 1970 passieren kann, wäre die Wiederholung eines überzeugenden Wahlsieges, der allen, jedenfalls in Ansätzen existenten Reformeifer vergessen ließe. Eine Strukturreform in der ÖVP ist in allererster Linie die Beschäftigung mit dem Problem, wie sich die augenfällige Diskrepanz zwischen der sozialen Wirklichkeit der VP-Wählerschaft und dem Image dieser

Partei beseitigen läßt. Das VP-Image setzt sich zusammen aus den wenig gängigen Attributen wie „konservativ“, „satt“, „kapitalistisch“, „rechts“, „antiintellektuell“ und „statisch“. Sowenig wahlattraktiv diese Attribute in der Tat sind, so sehr vermögen sie wenigstens vorläufig noch kontrastierende Effekte zu einem ebensowenig vorhandenen lupenreinen Sozialismus in Österreich auszustrahlen. Damit lassen sich in Österreich heute noch recht gute politische Geschäfte mit dem Wählerpublikum machen; ob freilich auch auf die Dauer, bezweifeln selbst jene kampferprobten Wahlstrategen, die auf diesem Sektor bewundernswerte kreative Fähigkeiten entwickelt haben.

Läßt man gelten, daß der fluktuierende Wähler jedenfalls kritischer als ein Großteil der Stammwähler ist (was freilich in Österreich wenig zu bedeuten hat), und eben dieser Wähler die nächste und erst recht die übernächste Wahl entscheiden wird, dann dürfte es unumgänglich sein, besser morgen als übermorgen kontrastierende Wirkungen bei der Präsentation politischer Gruppen mehr aus dem aktuell-programmatisch als dem ideologisch-verkalk-ten Bereich zu schöpfen. Dies wiederum kann nur dann gelingen,

wenn die politischen Programme und Ziele mehr der Zusammensetzung des potentiellen Wählerpublikums als einem realitätsfernen Image entsprechen.

Flirt mit der Zukunft

Die relative Dominanz des Wirtschaftsbundes in der Volkspartei dürfte auf Kosten des sozialen Integrationscharakters und eines zukunftsorientierten Profils der ÖVP vorläufig und befristet allein zwei Vorteile eintragen: Geld für die Parteiorganisation, wenn auch nie genug; und die schwer beweisbare Auszeichnung, daß die ÖVP mehr und bessere Wirtschaftsexperten als die SPÖ habe.

Vertraut man der Strahlkraft auch deponierter Reformgedanken, dann haben die Vorschläge, die bündischen Gewichte in der Volksparted zu verlagern, dieser Partei genau jenen Weg gewiesen, der sie aus der vorläufig prolongierten Starrheit führen könnte: den Weg zur sozialen Wirklichkeit der österreichischen Wähler. Denn die rund fünf Millionen wahlberechtigten Österreicher sind nun einmal in überdeutlicher Stärke Arbeitnehmer und in galoppierender Reduktion Bauern, Gewerbetreibende und Industrielle. Die Vorschläge von, so VP-Generalsekretär Dr. Withalm, „politischen Selbstmördern“, waren daher nichts anderes als ein Flirt mit der Zukunft, denn je früher, desto besser für die Volkspartei auch die Vertreter der Spitzengremien wagen sollten. Daß dies freilich personelle Reformen in den hündischen Spitzen voraussetzt, sollte die nicht abschrecken, die sich über den nächsten Wahltag hinaus mit der Volkspartei auseinanderzusetzen haben.

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