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Privatschulen: Kosten sind ein Problem

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Ein ungerechtes Privatschulgesetz, klagt Saskia Haspel, benachteiligt nichtkirchliche Privatschulen wie das neue Wiener Montessori-Zentrum.

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Ein ungerechtes Privatschulgesetz, klagt Saskia Haspel, benachteiligt nichtkirchliche Privatschulen wie das neue Wiener Montessori-Zentrum.

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Diese Bitte eines Mädchens an die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori vor über 80 Jahren wurde zum Leitsatz für eine Pädagogik, die „das Kind und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt des pädagogischen Handelns stellt".

Die Grundsätze der „Pädagogik vom Kinde aus" werden schon seit sieben Jahren am „Institut für aktives Lernen" an interessierte Lehrerinnen und Lehrer, Kindergärtnerinnen und Eltern vermittelt, „Montessori-Klassen" gibt es an verschiedenen öffentlichen Schulen. „Aber es existiert in Osterreich keine zweite Schule wie unsere, und auch wir haben erst im vorigen September begonnen." Saskia Haspel leitet das im Vorjahr eröffnete Montessori-Zentrum in der Hüttelbergstraße 5 in Wien Penzing, das nun das Ausbildungszentrum, ein „Kinderhaus" für die Drei- bis Fünfjährigen und die neue Volksschule unter einem Dach vereinigt.

„Wir haben derzeit eine Schulklasse mit 20 Kindern, auch in Zukunft werden wir pro Stufe nur eine Klasse führen", erzählt die engagierte Pädagogin. Montessori-Pädagogik stellt eben besondere Anforderungen, die sich nur in kleinen Gruppen erfüllen lassen.

„Wir müssen das Kind führen, indem wir es freilassen", postulierte Maria Montessori in einer Zeit, in der solche Aussagen noch revolutionär klangen. Dem Kind den Freiraum für seine Entwicklung zu einer selbstbewußten und eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu geben, es nicht zu „bevormunden", sondern „liebevoll zu begleiten": Das versteht Saskia Haspel heute unter „Montessori-Pädagogik". „Gemeint ist aber nicht unbegrenzte Freiheit, sondern ein Freiraum unter klaren Rahmenbedingungen. Freiheit in diesem Sinn setzt Selbstdisziplin voraus, die Bereitschaft, Verantwortung für die eigenen Handlungen zu übernehmen und die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse ebenso wie die Bedürfnisse anderer zu erkennen und zu achten." Für eine solche Entwicklung sei eine „pädagogisch gut vorbereitete Umgebung" unabdingbare Voraussetzung. In dieser „vorbereiteten Umgebung" findet das Kind Spiel-, Lern- und Arbeitsangebote, die sich an seinen Bedürfnissen und Interessen orientieren und die es annehmen kann, aber nicht muß. Die Kinder können in ihrem eigenen Tempo lernen; nicht nur im Kinderhaus, sondern auch in der Schule können sie selbst wählen, welche Aufgabe sie übernehmen, innerhalb welchen Zeitrahmens und mit welchen Arbeitspartnern sie diese bewältigen wollen. Damit werden die sozialen Prozesse, die zur Regelung der Freiarbeit notwendig sind, genauso wichtig wie die Arbeit selbst.

Lernen nach eigenem Tempo

Trotz allem muß sich die Schule, die sich um das Öffentlichkeitsrecht bemüht und es „voraussichtlich noch heuer" bekommen wird, an den öffentlichen Lehrplänen orientieren. Läßt sich das in „Freiarbeit" verwirklichen? Saskia Haspel sieht darin kein Problem: „In der Entwicklung eines jeden Kindes gibt es ,sensible Perioden', Phasen, in denen das Kind besonders aufnahmebereit ist für alle Eindrücke, die ihm einen bestimmten Entwicklungsschritt ermöglichen oder erleichtern. Während einer solchen sensiblen Periode kann ein bestimmter Lernschritt leicht, fast spielerisch erfolgen, während dasselbe Lernangebot zu einem anderen Zeitpunkt das Kind über- oder unterfordern würde. Entwicklung läßt sich in Wahrheit nicht verzögern oder beschleunigen, sie kann sich bei jedem Kind nur in seinem individuellen Tempo vollziehen." Also „alles zu seiner Zeit" - Voraussetzung dafür aber ist, daß diese sensiblen Perioden von den Erwachsenen auch richtig erkannt und gedeutet werden. Genau beobachten und richtig reagieren, sich selbst zurücknehmen, dabei dennoch helfen und das Kind „auf seinem Entwicklungsweg nie im Stich lassen". Von den Erwachsenen wird eine schwierige Gratwanderung gefordert, dessen ist sich auch Saskia Haspel bewußt. „Das Wichtigste ist der respektvolle Umgang, und daß das Kind in entspannter, liebevoller Atmosphäre Vertrauen entwickeln kann, zu anderen Kindern, zu den Erwachsenen und in seine eigenen Fähigkeiten."

Kein Kind kommt „zufällig" in ein Montessori-Kinderhaus oder in die Montessori-Schule. „Diese Entscheidung wird von den Eltern ganz gezielt getroffen, weil sie schon etwas von Montessori-Pädagogik gehört haben oder weil sie das sogar sehr gut kennen und sich zu Hause auch daran halten." Davon abgesehen, läßt sich kaum eine besondere „Zielgruppe" für die Montessori-Einrichtungen definieren: „Wir haben ein gemischtes Publikum. Das einzige Zugangsproblem sind die Kosten." Das Schulgeld beträgt 4.000 Schilling, zwölfmal im Jahr. Möglichkeiten einer sozialen Staffelung gibt es, vor allem, wenn mehrere Geschwister die Schule besuchen. „Aber etwas muß jeder zahlen, leider. Das ist eine Frage des ungerechten Privatschulgesetzes, das nicht-kirchliche Privatschulen finanziell benachteiligt."

Sorgen um die Zukunft der Schule hat Saskia Haspel dennoch nicht. „Die Montessori-Pädagogik ist auch nach 80 Jahren unverändert aktuell und bekommt in unserer Zeit, in der so viel von Integration geredet und andererseits über Hochbegabten-schulen diskutiert wird, eine weitere Dimension. Sie zeigt, daß das gemeinsame Leben und Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern, von Kindern mit unterschiedlichen Begabungen und unterschiedlichem Entwicklungsstand eine natürliche Situation ist, von der alle profitieren können."

Maria Montessori drückte es anders aus: „Der Weg, den die Schwachen gehen, um sich zu stärken, ist der gleiche, den die Starken gehen, um sich zu vervollkommnen."

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