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Maria Montessori und das Profil der modernen Schule

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Kaum eine zweite lebende Persönlichkeit hat das Werden der neuen Schule unserer Zeit so stark und nachhaltig beeinflußt wie die große italienische Kinderärztin und Erzieherin Maria Montessori.

Die nunmehr Neunundsiebzigjährige gehört zu den pädagogischen Aktivisten, die vor fünfzig Jahren auszogen, um das neue Säkulum zum „J ah rhu n-dert des Kindes" zu gestalten, wie dies Ellen Key in ihrem temperamentvoll-überschwänglichen Buche als Devise verkündete.

In der Tat stand die Zeit von damals im Zeichen einer pädagogischen Reformbewe- gung, deren nächste Ziele die Kunsterziehung und die Arbeitsschule waren. Unter den vielen sonstigen Erneuerungsgedanken fand das Buch der jungen Ärztin Maria Montessori — sie war die erste Frau, die in Italien den akademischen Grad erworben hatte — über die „Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter" bald starke Beachtung. Auf der Grundlage einer ganz neuen Schau des kindlichen Seelenlebens war hier der Weg zu bisher unerkannten Möglichkeiten der Erziehung in den ersten Lebensjahren gewiesen. Ausgehend von den sichtlich guten Erfolgen in der Behandlung geistig zurückgebliebener Kleinkinder, zeigte Maria Montessori, welche ungeheure Möglichkeiten erzieherischer und bildungsmäßiger Beeinflussung vor uns liegen, wenn wir die Interessen und den Betätigungsdrang des Kindes schon in seinen ersten Lebensjahren richtig einschätzen und in die richtigen Bahnen lenken. Dazu ist aber eine Gestaltung der kindlichen Umwelt und die Bereitstellung von entwicklungsförderndem Bescbäftlgungsmaterial erforderlich.

„Die dottoressa", wie sie bis heute in Italien schlechthin heißt, erprobte ihre Methode durch die Schaffung eines neuartigen Kindergartens („Casa dei bambini") in einer Vorstadt Roms praktisch und der Erfolg rechtfertigte ihre Erwartungen und Voraussagen reichlich.

Damit ist der Ausgangspunkt einer Bewegung bezeichnet, die als Montessori- Pädagogik seit mehr als 40 Jahren das Erziehungsdenken unseres Jahrhunderts mitbestimmt und den Aufbau einer neuen Gestalt der Schule vorbereitet hat.

Die Kinderpsychologie konnte im Laufe ihrer starken Entwicklung vieles erst später richtig erklären und bestätigen, was Maria Montessori trotz ihrer empirischen Grundhaltung zunächst doch nur intuitiv erkannt hatte. Heute sehen wir immer klarer, wie groß die Bedeutung der frühen Kindheit ist. Wir erfahren die Bedingungen, unter denen die werdende Persönlichkeit grundgelegt wird, und sehen die vielen Möglichkeiten, die im Kinde schlummern und die

Ln ihm zur rechten Zeit geweckt oder für immer verschüttet werden können. Wenn mit solchen Erkenntnissen die Verantwortung des Erziehers wächst, so mehrt sich aber auch die Reichweite aller Erziehungsarbeit. Durch das Erwecken des spontanen Tuns im Kinde, durch das Entfalten seiner Sinnesleistung, durch freigewählte eigene Arbeit und Einordnung in eine Gemeinschaft, berührt sich die Pädagogik Maria Montessoris mit vielem, was andere moderne Richtungen anstreben. Aber gerade ein solches Zusammenfinden beweist, daß es sich dabei um die großen pädagogischen Anliegen unserer Zeit handelt. Die Dottoressa hat die Ideen der freien geistigen Arbeit und der erziehenden Gemeinschaft, mit denen andere auch gerungen haben, in die Ordnung eines pädagogischen Systems gebracht und dafür sozusagen das Instrumentarium einer eigenen Methode entwickelt. In dieser Form hat dann die Montessori- Pädagogik schier alle Völker angesprochen und in aller Welt begeisterte Anhängerschaft gefunden.

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen finden wir die Montessori-Bewegung nicht bloß in Mitteleuropa — bei uns in Österreich besonders auf dem Gebiete des Kindergartens — in rascher Ausbreitung, sondern ebenso in Skandinavien, in Nord- und Südamerika, ja sogar in Ostasien. Die Grundgedanken der Freiheit und Wertschätzung der menschlichen Persönlichkeit, der Selbstregierung und schließlich eine von Maria Montessori selbst vollzogene religiöse Sinngebung der Erziehung mußten zum Widerspruch gegenüber den diktatorischen Staaten und ihren Erziehungsprinzipien führen. Wir sehen denn auch eine wachsende Ablehnung durch das faschistische Italien, und die Dottoressa mußte am Ende sogar ihre Heimat verlassen. Die von ihr gegründeten Schulen wurden in Italien und Deutschland geschlossen. Aber eben zur selben Zeit, die Maria Montessori zum Aufenthalte in verschiedenen Ländern, vor allem in Indien veranlaßte, vollzieht sich eine bisher ungeahnte Entfaltung der Montessori- Schulen. Gerade die Völker Ostasiens stehen ja jetzt im Begriffe, sich ein eigenes Schulwesen aufzubauen, das unbelastet von der europäischen Bildungstradition auf neuen Wegen die uralten Kulturen dieser Länder mit den Lebensaufgaben der Gegenwart verbinden und erzieherisch bewältigen soll.

Angesichts dieser Aufgabe mußte es sich nun zeigen, ob die Pädagogik Maria Montessoris das Kind wirklich nach seinem ureigensten Wesen richtig sieht und einschätzt. Diese Probe ist bestanden, denn keine der modernen Bildungsmethoden scheint den Völkern des Fernen Ostens mehr geeignet für den Aufbau ihres Schulwesens als das

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