Anspruchsvolle Erlösungsetüde für Hochbegabte

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Das argentinisch-spanische Theaterprojekt "Gólgota Picnic“ im steirischen herbst hatte schon vorab für Empörung gesorgt. Doch letztlich ist das Stück eine eigenwillige Liebeserklärung, provokant und an der Grenze zum Ekel, ein brachialpoetischer Abgesang auf eine schamlos übersättigte Konsumgesellschaft, die sich zu Tode lebt.

Abertausende Hamburger-Laibchen bedeckten zu Beginn lückenlos den Boden - hellbraun, süßlich riechend, mit Sesam bestreut. Am hinteren Ende der ausgeleuchteten Bühne war ein Picknick-Platz mit fünf Campingstühlen aufgebaut. Zudem ließen eine E-Gitarre, eine Handkamera auf einem Stativ und eine Leinwand erahnen, dass hier nicht einfach nur gegessen wird: Rodrigo Garcías "Gólgota Picnic“ war - auch in der deutschsprachigen Erstaufführung - als Skandalstück angekündigt. Am Ende des Abends war von der schönen Bodenästhetik nicht einmal mehr eine Erinnerung da, denn die Bühne glich einem Schlachtfeld. Die Laibchen lagen von Körpersäften aufgeweicht am Boden, dazwischen zerwühlte und rot getränkte Leintücher neben Frischfleisch- und Salatresten. Nach dieser Orgie, die der Zuseher serviert bekam, spielte Marino Formenti, mitten im Schlachtfeld nackt am schwarzen Bösendorferflügel sitzend, Joseph Haydns "Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“.

Macht, Missbrauch, Masochismus

Das war das Ende des vermeintlichen Aufregers, religiöser geht es wohl nicht mehr: Wie ein reiner, weißer Corpus Christi ließ der Pianist, fast schwebend auf der in ein Blutmeer getauchten Bühne, die langsamen Sätze Haydns erklingen. Hier wird doch noch einmal der Kunst, besser: der Musik zugetraut, was im ersten Teil noch Anklage war: Kein Giotto, Fra Angelico, Rogier van der Weyden oder Rubens hatte da nämlich taugliche Bilder des Trostes. Nein, sie alle, so war der Aufschrei über unser kulturelles Erbe aus dem Mund des gefallenen Engels zu hören, waren Komplizen für Macht, Missbrauch und Masochismus. Selbst jene, die das Christentum, wenn sc-hon nicht in seiner gegenwärtigen Verfassung, so wenigstens in seiner reichen Kulturgeschichte akzeptieren, werden der Fehleinschätzung bezichtigt: "Lernen unsere Kinder nicht in den Museen mit ihren grausamen Bildern, was es heißt, Böses zu tun?“ Einzig Rubens’ Hund in dessen Aufrichtung des Kreuzes wird beschworen: er sei der Einzige gewesen, der niemanden verraten habe. Dieser Hund in dem Gemälde beschert auch den einzigen Moment der Reinheit und Unschuld in diesem Stück, bis eben der Pianist erscheint. Bis dahin wird ein barock-orgiastisches Bilderspiel betrieben, das zwischen Völlerei, Eitelkeit und Sex so ziemlich alles auf die Spitze treibt. Dass dies alles auf "Golgotha“ passiert, musste Blasphemieschreie laut werden lassen. Doch sie hielten nicht.

Dabei ist Rodrigo Garcías Text eigentlich sehr poetisch, fast ein Gedicht. Es ist in Ich-Form geschrieben, doch dieses "Ich“ existiert auf der Bühne nicht mehr, denn ein jeder der fünf Darsteller wird zu diesem "Ich“. Sie sprechen ohne Absicht, sie sprechen nebenbei, während sie mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind, wie zum Beispiel Lauchstangen mit Gaffabändern an den Kopf zu kleben oder einen Knoblauchzopf wie einen Vollbart zu tragen.

"Springt in die Leere der Stille“

Dazu dröhnt aus dem tragbaren CD-Player Bachs "Matthäus-Passion“. Spiel und Sprache, Aktion und Inhalt laufen parallel. Verbindungen quer durch die abendländische Kunst- und Bibelgeschichte werden zwar mit Worten wie auch mit Videos hergestellt, trotzdem bleiben die Schauspieler wie Treibholz immer wieder im Text hängen. Was da erzählt wird, ist die Fleischwerdung als rettende Verheißung. Wer Erlösung ernst nimmt, muss bereit sein zur Entblößung. Letztlich ist das Stück eine eigenwillige Liebeserklärung, die provokant, an der Grenze zum Ekel mit einer schamlos übersättigten Konsumgesellschaft abrechnet. Im Vergleich dazu trägt die Amtskirche Samthandschuhe, wenn sie auf die Welt zugreift.

Wenn dann Formenti sich nach und nach seiner McDonald’s-Arbeitskleidung entledigt und im immer dunkler werdenden Bühnenraum spielt, ist das wie ein Sprung nach innen: "Springt in die Leere der Stille und der Einsamkeit und genießt die Andacht. Die Einsamkeit ist das Einzige, was euch sicher ist.“ Und in der Einsamkeit die Sehnsucht nach Erlösung.

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