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Gott im Wohnhaus

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Eine nicht alltägliche Lösung eines Kirchenneubaues gibt es seit einigen Wochen in Wien-Margareten. Es landelt sich um die neue Kirche und äeelsorgestation zum heiligen Johan-les den Täufer in der Margareten-itraße 141, wo der Keller und das Erdgeschoß eines Wohnhauses in »ine Kirche umgestaltet wurden.

Es ist nicht sehr leicht, die neue Kirche zu finden. An Stelle eines Kirchturmes oder besonderer architektonischer Formen weist nur ein ;chlichtes, aber schön gestaltetes Portal darauf hin, daß in diesem ;on den Freunden des Wohnungs-iigentums errichteten Wohnhaus mit len anderen Parteien auch Gott eine Eigentumswohnung bezogen hat. Jber eine Stiege gelangt man zu dem ;twa 100 Sitzplätze umfassenden ■Circhenraum, der von Architekt Vytiska entsprechend den neuen iturgischen Richtlinien sehr zweck-näßig und ansprechend gestaltet vurde.

Die Errichtung einer Seelsorgestation war angesichts des dichtbesiedelten Gebietes und der abseitigen Lage von der Pfarrkirche 3t. Josef in Margareten dringend erforderlich. Nur ein geringer Prozentsatz der in der Gegend am Hunds-;urm wohnenden Katholiken konnte ton der mehr als 20.000 Gläubige üählenden Pfarre erfaßt werden. Da »ber in diesem Gebiet für einen Kirchenbau nicht genügend Platz /orhanden war, entschloß man sich :ür die Errichtung der Kirche in ;inem Wohnhaus. Seit der Einwei-lung am 1. Oktober durch Erz-bischof-Koadjutor Dr. Franz Jachym lat sich hier bereits eine sichtbare Gemeinde zusammengefunden, so laß — wie der Kirchenrektor Hubert Batka in einem Gespräch feststellte — die Sitzplätze bei den beiden Sonntagsgottesdiensten, manchmal sogar auch bei den als Abendmessen gefeierten Werktagsgottesdiensten nicht ausreichen.

Wer Gelegenheit hat, mit den Menschen im Gebiet der neuen Seelsorgestation zu sprechen, und sieht, wie sehr diese Art des Kirchenbaues auch bei Fernstehenden Zustimmung findet, stellt sich die Frage, ob es sich hier wirklich nur um eine durch die städtebaulichen und demographischen Umstände erzwungene Notlösung handelt oder um mehr?

Wissen wir und spüren wir heute nicht bereits sehr deutlich, daß die großen, prächtigen Gotteshäuser nicht mehr ganz in unseren Kirchenbegriff passen, der von der Tatsache ausgeht, daß nur Menschen eine Gemeinschaft formen und eine lebendige Kirche bilden? Sagt uns nicht die tägliche Erfahrung und die pastoralsoziologische Forschung, daß man in einer Kirche nur eine begrenzte Zahl von Gläubigen zu einer Gemeinde zusammenfassen kann, und daß mit jeder neuen Gemeindegründung eine gleichgroße Zahl von Katholiken erfaßt werden kann wie an der Mutterkirche?

Sicher ist die Leistung der Kirche in unserem Land beim Bau neuer, moderner und künstlerisch wertvoller Kirchen anzuerkennen, aber es wäre doch zu fragen, ob die Aufgabe der Kirche nicht heute vorwiegend woanders liegt. Die Kirche im Eigentumswohnhaus stellt eine richtungweisende Initiative dar.

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