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Marx: Politik, Philosophie, Geschichte

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Von der edition suhrkamp, die erst vor kurzem ihren 100. Band herausbringen konnte, liegen zwei Bücher von zwei Wissenschaftlern der politischen Linken vor. Otto Kirchheimer, einer der Senioren der deutschen politischen Wissenschaft, derzeit Professor an der Columbia University, New York, schrieb die zu dem vorliegenden Taschenbuch zusammengefaßten vier Essays in den Jahren zwischen 1930 und 1957. Seinen ganzen Auffassungen nach dem linken Flügel der deutschen Sozialdemokratie verbunden, unterzog er die Weimarer Republik knapp vor deren Untergang einer konsequent-radikalen Verfassungsanalyse. Er kritisierte, daß das ganze Theoretisieren um einen gesellschaftlichen Pluralismus ebenso wie die Beschränkung auf einen liberalen Grundrechtskatalog im Effekt nur der Aufrechterhaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung diene. „Indem man die Formen der Demokratie mit ihrem Inhalt verwechselte, unterließ man, dieser Verfassung ein politisches Programm zu geben.“ Die Wurzel dieser Kritik ist die Anschauung, eine wertneutrale, streng positivistische Verfassung mit einem formalen Demokratiebegriff sei letzten Endes unmöglich — eine Anschauung, die sich abgeschwächt auch durch die später verfaßten Aufsätze zieht.

Henri Lefebvre, Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Straßburg, kann zu den lebendigsten Theoretikern des Marxismus der Gegenwart gezählt werden. Er wendet sich gegen den marxistischen Dogmatismus, der alle Probleme bei einer materialistischen Betrachtung gelöst glaubt Gegen die Schematisierung des Marxismus in einer kanonisierten Methodologie, gegen den „ausgedörrten Materialismus“ stalinistischer und nachstalihi-stischer Prägung führt Lefebvre für sich die Quellen des Marxismus an: Marx, Engels und auch Lenin. Dieses Zurück zu den Quellen geht so weit, daß der Autor energisch die altmarxistische Forderung und Pro-phetie des Absterbens des Staates der tatsächlich im Osten geübten Praxis der Aufblähung des Staates gegenüberstellt. Alle Widersprüche des Marxismus in sich selbst werden so nicht wegzudeuten, sondern mit erstaunlicher Offenheit zu analysieren versucht. Mit großer Verbitterung wendet sich der Marxist Lefebvre gegen die „offiziellen Marxisten“, die Parteiideologen, deren Scholastik das Lebendige am Marxismus verschüttet. Wer dieses Buch gelesen hat, wird sich nicht wundern, daß Lefebvre, der seine Kritik eine „Kritik von links“ im Sinne Lenins nennt, aus der KPF ausgeschlossen wurde.

Die österreichische Historikerin und Kommunistin Hilde Koplenig geht bei ihrer Darstellung der Französischen Revolution von festen marxistischen Positionen aus. Das bedeutet, daß sie grundsätzlich nicht empirisch vorgeht, sondern den Gesamtablauf der Revolution ununterbrochen in das starre Denkschema orthodox-marxistischer Geschichtsauffassungen einzuordnen versucht. Schwerpunkt einer solchen Geschichtsschreibung ist natürlich der Gegensatz zwischen dem revoltierenden Großbürgertum, das nur seine eigene rechtliche Gleichstellung mit den beiden ersten Ständen wünscht, den sozialen Gegensatz nach „unten“ hingegen zu verewigen trachtet, und dem langsam heraufdämmernden vierten Stand. Der Wert des anschaulich und interessant geschriebenen Buches wird durch solche starren Positionen, die oft eine allzu gewaltsame Schematisierung verursachen, stark gemindert.

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