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Ohne Honoratioren

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Als einen „Startschuß zur Neuprofl-lierung der Volkspartei“ bezeichnete ÖVP-Bundesparteiobmann Doktor Hermann Vfithalm den Mitarbeiter-kongfeß der ÖVP, der am letzten Freitag nachmittag und dem darauffolgenden Samstag vormittag in der Halle D der Wiener Stadthalle stattfand. Dieser Kongreß war nicht nur die erste derartige Veranstaltung in der 25jährigen Geschichte der einstigen Honoratiorenpartei Figls und Raabs. Keine österreichische Partei, auch die SPÖ nicht, deren Vorsitzender unentwegt von der Notwendigkeit der Demokratisierung verschiedener Institutionen und Gremien spricht, traute sich noch an dieses Experiment am eigenen Leib heran. Die Idee selbst kam aus England, von der Konservativen Partei, mit der die, sonst eher nur die christ-lichdemokratischa Solidarität auf Internationaler Ebene pflegende ÖVP erst seit kurzem engere Beziehungen unterhält. Dr. Withalm und seine Mitarbeiter als Gäste der Konservativen beobachteten die dortigen Vorgänge genau. Die Konferenzen der Konservativen Partei beginnen gewöhnlich damit, daß jeweils fünf Vertreter aus allen» mehr als 600 Wahlkreisen, darunter obligatorisch je Wahlkreis mindestens eine Frau, viele hundert Anträge spontan stel-ten, darüber diskutieren und ihre Beschlüsse an die Parteiführung herantragen. Eine solche demokratische Massenveranstaltung, bei der nicht von „oben“ geredet und „unten“ applaudiert wird, stellt natürlich organisatorische Probleme. Ob die Sache in Wien überhaupt funktionieren kann, stand vorerst nicht fest.

Die Kongreßleitung schlug acht Sprecher vor, die am nächsten Tag vor dem durch die Mandatare der Partei erweiterten größeren Forum die Anträge der Arbeitsweise vor der schriftlichen Abstimmung erläutern sollten. Der Vorschlag wurde von den Tischvorsitzenden spontan abgelehnt: Die Sprecher würden sie erst nach Schluß der Diskussion selber wählen! Und so geschah es auch.

Die somit gewählten Sprecher, darunter eine Frau, die über den Arbeitskreis „Der politisch enga-eierte Mensch“ referierte, haben sich am nächsten Tag bewährt und boten nach Ansicht mehrerer Beobachter ein durchaus besseres Bild der Volkspartei als manche Parlaments-abgeordnete, deren geistlose Zwischenrufe und ungeschickte Reden das Fernsehpublikum häufig ins Haus geliefert bekommt. Hier schien also ein noch ungehobenes Politikerreservoir der Volkspartei zu liegen. Der erklärte Sinn dieses Kongresses war, herauszubekommen, wo den

Wähler, mit dem die Parteifunktionäre und Gemeindemandatar,e auf Bezirksebene unmittelbaren Kontakt haben, „der Schuh drückt“. Man erwartet« von den 800 „redenden, diskutierenden, abstimmenden“ Mitarbeitern der Partei konkrete Vorschläge aus der Praxis und für die Praxis: Diese engagierten regionalen Mitarbeiter und Funktionäre sollten nicht die Stichworte der letzten Leitartikel oder Politikerinterviews hersagen, sondern die Entscheidungsgremien der Partei über Zustände informieren und mit Anträgen konfrontieren.

Am zweiten Tag wurde nach den erläuternden Berichten der Arbeits-kreissprecher über 92 Anträge, die aus 699 Vorschlagen der 800 Diskussionsteilnehmer von den Tischvorsitzenden ausgewählt wurden, auf den in der Nacht gedruckten Bögen abgestimmt. Abstimmungsberechtigt waren die 2000 Delegierten des zweiten Tages. Man konnte die Anträge begrüßen, ihnen zustimmen und sie ablehnen. Man konnte auch zusätzliche Anregungen aufs Papier bringen.

Bereits heute kann man feststellen: Diese Art von Parteiaktivität kann nur nützlich sein: für den zu betreuenden Wähler und seine Angehörigen, für die Partei und für die Demokratie überhaupt. Für die ÖVP kann daraus auch noch ein zusätzlicher Nutzen erwachsen: Stärkung der überbündischen Struktur und damit ein neues Erscheinungsbild der Partei, das sich zweifellos viele Wähler und manche einsichtige unter den Politikern der ÖVP wünschen.

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