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Blick vom Semmering

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In früheren Jahren fand die Semmering- Tagung der Oesterreichischen Volkspartei für gewöhnlich an der Wende zwischen dem Winter und dem Frühjahr statt. In den kurzen Mittagspausen lockte die stärker werdende Sonne zum Spaziergang oder zu einer schnellen Liftfahrt auf den Hirschkogel. Der „steirische Fasching“ lag über den „aper“ werdenden Schneefeldern. Frühjahrsmüdigkeit — von der wohligen Art —, aber auch frühjahrsmäßiges Kräftesammeln und Plänemachen, das waren die Grundelemente' der Höhenstimmung. Heuer war das anders. Man traf einander statt im „Panhans“ im „Südbahnhotel“ und nicht während des steirischen Faschings, sondern im „traurigen Monat November". Ganz früh am Morgen genossen die, die diese Stunde lieben, einen glutroten Sonnenaufgang vor klarem Himmel. Dann aber folgten die ersten Nebelschwaden. Binnen weniger Stunden war das Bergland so eingetrübt, daß man die nächsten

Konturen nicht mehr unterscheiden konnte. Und heim fuhr man im strömenden, grauen Regen.

Die Lehre und der Erfolg dieser Semmering- Tagung liegt in ihren negativen Erkenntnissen. Die Teilnehmer sahen — der eine früher, der andere später —, was die heute so viel, fast schon zu viel beredete und beinahe schon ver- redete Reform alles nicht sein kann. Und was sie auch, wenn die Zukunft der Volkspartei eine halbwegs gute sein soll, nicht sein wird.

Die Reform der Partei wird — das zeigte sich während der ersten Stunden des Semmering- Gesprächs mit brutaler Deutlichkeit — kein einfaches Abschießen von Personen, kein „Bäum- lein-wechsIe-Spiel“ im kleinen Kreis sein können. Es gehörte zu den bedrohlichen Krisenminuten der Tagung, als, durch eine Verkettung gewollter oder ungewollter Mißverständnisse hervorgerufen, sich plötzlich so etwas wie ein persönliches Tauziehen abzeichnete, das sehr leicht in einen Kampf aller gegen alle hätte ausarten können, wenn nicht der Parlamentsklub und seine Leitung im richtigen Augenblick die nötige Disziplin gezeigt hätten. Der für den Wahlvorschlag des gesamten Bundesparteivorstandes, nicht nur der einen oder anderen willkürlich zum Sündenbock erklärten Persönlichkeit, statutmäßige Ausschuß wird noch vor dem Parteitag die personellen Fragen in ihrer Gesamtheit und in ihrem inneren Zusammenhang zu lösen haben. Sie sind mit der Reform untrennbar verbunden, aber sie können diese nicht ersetzen oder überflüssig machen.

Die Reform der Partei wird — und das zeigte sich mit erfrischender und begrüßenswerter Deutlichkeit — aber auch kein leichtfertiges oder verwegenes Spiel mit jenen unantastbaren weltanschaulichen Grundsätzen sein, denen die Volkspartei ihr Woher und Wohin, ihr Gesicht verdankt. Es war schon auf dem Linzer Tag des Akademikerbundes klargeworden, und es wurde auf dem Semmering durch prominente „Reformer“ aus den Reihen des Akademikerbundes wiederholt: die christlich-demokratischen Grundlagen der Partei bedürfen keiner Revision, keiner ominösen Angleichung an Welt- und Wertbilder, die mit den Gesinnungsentscheidungen der praktischen Politik, besonders auch der Kulturpolitik, ihrem Wesen nach nichts zu tun haben.

Die Reform der Partei wird — und das zeigte sich mit ernster und verantwortungsschwerei Deutlichkeit — aber aüch keine kraftmeierische Durchhauung Gordischer Knoten sein, eine Lösung, die immer dann in der Diskussion auftaucht, wenn von den Perspektiven der Koalition die Rede ist. Die Aussprache erreichte ihr bestes Niveau, als diese Fragen erörtert wurden und das Für und Wider aller Schritte in einer Atmosphäre strenger Sachlichkeit auf der Waage lag. Illusionen nach Rechts hin — wo sie bestanden — wurden soeben zerstört durch die Bekanntgabe der innenpolitischen Ziele der FPOe auf ihrem Parteitag in Salzburg: die „Durchsetzung unserer national-freiheitlichen Gedankengüter in Politik, Kunst und Wissenschaft" würde in der Praxis nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als die Machtübernahme in der österreichischen Kulturpolitik durch diese in den Gedankenbahnen der alten „Großdeutschen“ festgefahrenen Pseudo-Liberalen: die übe r- wiegende Mehrheit der Wähler der Volkspartei wollen ihre Politiker ebensowenig als Steigbügelhalter dieser „Nationalen“ wie als Portiere einer kalten Sozialisierung sehen. Darüber werden sich einige Parteipolitiker noch klarer werden müssen ...

Die zweite Regierungspartei stand als eine Realität im Raum, der auch die während der Tagung, gleich den einst rettenden Dampierre- schen Dragonern eintreffenden Detailmeldungen von gleichzeitigen Diskussionen auf dem SPOe- Parteitag nichts an Gewicht und Ernst nehmen konnten. Eine stärkere Einschaltung der parlamentarischen Kräfte in das Koalitionsgespräch, dem der Charakter reiner Regierungsverhandlungen genommen werden soll, erscheint zur Stunde als der einzig gangbare Weg der Innenpolitik.

Was die Reform der Partei nicht sein kann und nicht sein wird..., das war allen Semmering-Teilnehmern klargeworden, als sie im trüben Regen den Berg herunterfuhren. Die, die mit Illusionen gekommen waren, enttäuschter als jene, die von vornherein mit den Realitäten gerechnet hatten. Das große Forum der Partei wird vor dem Februar nicht wieder zusammentreten. Bis dahin aber wird zu der Semmering- Erkenntnis negativer Art das positive Wissen über die Reform getreten sein müssen: über ihre Männer, ihre Grundsätze, ihre praktischen Wege. Es ist ganz gut, daß November, Advent und Januarkälte noch dazwischen liegen.

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