Der Schutz Europas

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Das Motto des österreichischen EU-Vorsitzes "Ein Europa, das schützt" wird kritisiert. Doch könnte es auch Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins sein.

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Das Motto des österreichischen EU-Vorsitzes "Ein Europa, das schützt" wird kritisiert. Doch könnte es auch Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins sein.

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Ein gemeinsamer Raum des Rechts, der Freiheit und der wirtschaftlichen Prosperität, auf Grundlage der christlich geprägten geistig-kulturellen Tradition des Kontinents: das war stets die leitende Idee des europäischen Einigungsprojektes. Diese Idee ist durch die Verwerfungen der Finanz-und der Migrationskrise arg ins Wanken geraten. Vorstellungen von Zentralismus und Nivellierung bzw. Umverteilung (anstelle von Freiheit, Vielfalt und Wettbewerb) wurden zunehmend wirkmächtig. Nicht von ungefähr mutierten die heftigsten EU-Gegner zu den glühendsten "Pro-Europäern" - und vice versa.

Wenn nicht alles täuscht, steht die Europäische Union zur Zeit wieder an einem Scheideweg: zwischen fortschreitender Desintegration bis hin zum Niedergang bzw. gar zur Auflösung - oder aber einer Rückbesinnung auf jene Prinzipien, welche die historisch beispiellose Erfolgsstory der Union begründeten und trugen.

strahlkraft nach außen

In dieser Situation hat Österreich soeben den EU-Vorsitz übernommen. Das Motto, unter das die Regierung dieses Halbjahr gestellt hat, lautet "Ein Europa, das schützt". Das wurde wenig überraschend vom Altbundespräsidenten abwärts von vielen Seiten als zu defensiv, zu wenig visionär kritisiert. Es trägt freilich der Tatsache Rechnung, dass der oben beschriebene Rechts-,Freiheits- und Wohlstandsraum nur funktionieren kann, wenn er eben entsprechend geschützt wird. Ein Raum ohne Grenzen ist kein Raum, und Grenzen, die nicht geschützt werden, deren Übertretung also nicht sanktioniert wird, sind keine Grenzen. So einfach ist das grundsätzlich einmal.

Der Schutz des Raumes dient indes nicht nur den innerhalb seiner Grenzen sich Aufhaltenden, sondern auch den Außenstehenden. Der in letzter Zeit häufig zitierte Gedanke des US-Ökonomen und Nobelpreisträgers Milton Friedman (bereits Ende der siebziger Jahre bei einem Vortrag formuliert!), wonach man entweder einen Sozialstaat oder aber offene Grenzen haben könne, gilt auch in einem umfassenderen Sinn: Die Strahl-und Anziehungskraft eines Raumes nach außen setzt seine Begrenzung geradezu logisch zwingend voraus. Im Umkehrschluss heißt dies: Eine Politik der offenen Grenzen untergräbt auf lange Sicht ihr eigenes Fundament, weil ungesteuerte Zuwanderung zu Ende gedacht dazu führt, dass das Ziel der Zuwanderung sukzessive an Attraktivität verliert.

Das Motto der österreichischen Ratspräsidentschaft ist so gesehen kein defensives, nicht Ausfluss ängstlichen Sich-Zurückziehens, sondern könnte im besten Fall Ausdruck eines neu erwachten Selbstbewusstseins, ja eines dringend notwendigen und wünschenswerten Willens zur Selbstbehauptung sein: Nur ein Europa, das sich nach außen schützt, kann nach innen Schutz bieten: jenen, die da sind; jenen, die hier einen Beitrag zur Stabilisierung und Weiterentwicklung von Recht, Freiheit und Wohlstand leisten wollen und können; und jenen, welchen tatsächlich Schutz vor persönlicher Verfolgung im genuinen

Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (welche nicht für Massenmigration ersonnen wurde) zusteht.

chance zur Wende

Angesichts all der tagespolitischen Turbulenzen der vergangenen Tage und Wochen, insbesondere des erbärmlichen (und wohl für beide schädlichen) Streits zwischen den deutschen Unionsparteien CDU und CSU mag das alles illusorisch klingen. Doch auch große Dinge entstehen nicht anders als aus den Mühen der Ebenen und durch sie hindurch. Erst im Rückblick wird ein roter Faden erkennbar, erst wenn sich die Staubwolken gelegt haben, werden wir wissen, ob Europa, diese Europäische Union, noch einmal die Kraft gehabt hat, sich im Wortsinn zu regenerieren.

Ja, Europa steht -freilich nicht zum ersten Mal -an einem Scheideweg. Die Chance einer positiven Wende, die Chance, aus dieser Krise gestärkt herauszugehen, ist indes durchaus intakt. In diesem Sinne: Alles Gute, Österreich, für die nächsten sechs Monate!

rudolf.mitloehner@furche.at |

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