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Der „Kennedy-Look“ marschiert

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Die konservative Presse versucht zwar den zeitlichen Zusammenfall der letzten Katastrophe in einer Nachwahl mit der Regierungsumbildung als Zufall hinzustellen, was aber sehr skeptisch aufgenommen wird. In der rücksichtslosen Maßnahme des Premierministers glaubt man hingegen einen Versuch zu erkennen, das Bild des energischen Parteiführers in den Wählern zu erwecken, der genau weiß, wie die Probleme Großbritanniens zu lösen sind. Er umgab sich für diese Aufgabe mit einigen neuen Männern, die der konservativen Regierung einen gewissen „Kennedy-Look“ verleihen sollen. Im Vordergrund stehen der neue Schatzkanzler Reginald Maudling (ein Verwandter des Premierministers), der nach dem Scheitern der Europäischen Freihandelszone im Jahre 1958 vielfach als politisch tot galt. Zusammen mit den jungen Ministern für Wohnungsfragen und für Erziehung, Sir Keith Joseph, einem früheren Dozenten des berühmten Oxforder Colleges All Souls, und Sir Edward Boyle, einem Absolventen von Eton, bildet er eine Art intellektuelles Triumvirat; von diesen Männern erwartet der Premierminister und die konservative Parteiorganisation, daß sie den Regierungsstil der „sechziger Jahre“ entwickeln, Großbritannien aus einer geistigen und wirtschaftlichen Stagnation herausführen und die weiter überhandeneh-mende Abwanderung der Wähler zur Partei der Liberalen verhindern.

Harold Macmillan unterstrich seine Absicht “ durch die Berufung einer Schar junger talentierter Abgeordneter in sogenannte „Junior“-Ämter der

Regierung, die zwar nicht im Kabinett vertreten sind, aber die Regierungstätigkeit und die Haltung der öffentlichen Meinung der Regierung gegenüber trotzdem beeinflussen. Wohl am meisten überraschte die Berufung Chris Chataways, des ehemaligen Weltklasseläufers und Fernsehansagers, zum Staatssekretär im Erziehungsministerium. Insgesamt ernannte Macmillan bisher elf Staats- und Unterstaatssekretäre, die jünger als 40 Jahre sind, darunter seinen Schwiegersohn, Mister Julian Amery, zum Minister (ohne Kabinettsrang) für Luftfahrt. Die Regierungspartei hat damit jedenfalls ein erstaunliches Zeichen von Lebenskraft gegeben; tatsächlich beruht der Hauptteil ihrer Anziehungskraft in einem Übergewicht der jungen Politiker.

Freilich wiesen schon seit Monaten die innenpolitischen Kommentatoren der unabhängigen Presse, junge konservative Abgeordnete, allen voran die Mitglieder der „Bow“-Gruppe, in Aufsätzen und Reden darauf hin, daß die Regierung auf den Gebieten der wirtschaftlichen Expansion, der Wohnungsfragen, des Gesundheitswesens und der Erziehung gescheitert ist. Trotz der vielfach schmerzhaften „Lohnbremse“ („wage-pause“) war es dem früheren Schatzkanzler nicht gelungen, der britischen Wirtschaft einen nachhaltigen Auftrieb zu verschaffen. Der Regierung gelang es nicht einmal, ihr Hauptziel, ein stabiles Preisniveau, zu erreichen. Auf dem Gebiet des öffentlichen Wohnungsbaues blieb das Angebot ■veit hinter der Nachfrage zurück. Die Wohnungsnot hat zwar bei weitem nicht ein ähnliches Ausmaß wie in einigen deutschen oder österreichischen Städten, ist aber wegen der nocl immer zahlreichen Slums ein drängen des Problem. Im Gesundheitswesei konnte die Regierung die beachtlich Knappheit an Spitalsraum nicht erfolg reich bekämpfen. (Die Auseinander Setzung mit den Krankenschwestern die, wie überall, stark unterbezahl sind, trug auch nicht zur Popularitä der Regierung bei.) Im Erziehungs wesen ließ sich die konservative Ver waltung von völlig falschen Voraus Setzungen leiten; sie wollte eine Zeit spanne der Konsolidierung herbei führen, was durch den Zustrom de starken Jahrgänge der Nachkriegszei vereitelt wurde. Jetzt muß der neu Erziehungsminister unter Zeitdruc!

Probleme wie Schulraumnot, akuter Lehrermangel und Hebung der Qualität des Unterrichts lösen.

Der neue Schatzkanzler. Maudling, schrieb vor einigen Wochen in der „Times“ in einem Artikel über die Zukunft der Konservativen, daß nur jene politische Partei Erfolg haben wird, welche die Probleme der „sechziger Jahre“ zuerst erfaßt, den Wählern mundgerecht dargebracht und durch planvolle Arbeit gelöst hat. Das alles hat nicht ausgereicht, die Widerstände innerhalb der Partei gegen eine Neuorientierung zu überwinden. Denn der rechte Flügel macht es Macmillan nicht leicht, der Nation ein verjüngtes Gesicht der Regierung und der Konservativen Partei vorzustellen. Er brauchte eine Kette von vernichtenden Wahlniederlagen, um einigen Bewegungsraum für seine wichtigsten Maßnahmen zu bekommen.

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