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REGINALD MAUDLING / DER NEUE STEUERMANN ;

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Wenn diese Zeitung erscheint, ist für den 45jährigen Reginald M a u d 1 i n g, britischer Schatzkanzler seit der Regierungsumbildung vom Ende Juli, der große Augenblick schon vorbei. Während des vergangenen Wochenendes schwamm er noch auf dem Atlantik, wo er von den USA kommend sich auf seine große Ansprache im Mansion House in London vorbereitet hat. Wir wissen noch nicht, was er am Mittwoch über sein wirtschaftspolitisches Programm gesagt hat. Die energischen Handlungen in der kurzen Zeitspanne seit seiner Ernennung zum Schatzkanzler haben sogar die Erwartungen seiner Freunde übertroffen: er reorganisierte das Schatzamt, das er in drei Sektionen teilte, ie eine für allgemeine Finanzpolitik, öffentlichen Haushalt und zur Vorhersage des wirtschaftlichen Wachstums sowie der Erstellung von Rahmenplänen für Investitionen; fast gleichzeitig hat er alle Hemmnisse seines Vorgängers für eine beschleunigte Expansion beseitigt, darüber hinaus Maßnahmen ergriffen, die das Wachsen der britischen Wirtschaft fördern.

Die letzte Regierungsumbildung brachte ihn auf die Kommandobrücke der britischen Wirtschaft. Wer ist dieser Politiker, dem die englischen Kommentatoren einhellig die Eigenschaft ,,brillant“ zubilligen, der aber uns höchstens von seinem Mißerfolg in der Frage der „Großen Europäischen Freihandelszone“ bekannt ist?

Wie fast alle englischen Politiker wurde auch Reginald Maudling in einer Public School, also in einer Privatschule, erzogen, in der „Mer-chant Taylor“-Schule, in einer alt-rennomierten Anstalt im Westen Englands. Nach dem Studium in Oxford, wo er ausgezeichnete Erfolge erzielte, wurde er, wie sein Vorgänger Selwyn Lloyd. Rechtsanwalt. Das ist freilich die einzige Parallele, die zwischen den beiden Männern besteht. Nach dem Krieg trat er in das Forschungsinstitut der konservativen Partei ein, wo er gemeinsam mit Richard Butler und lain Macleod den Tories ein modernes Regierungsprogramm zurecht-schneiderte.

In den verschiedenen konservativen Verwaltungen seit 1951 war er zunächst Unterstaats- und Staatssekretär in verschiedenen Abteilungen des Schatzamtes und des Handelsministeriums. Von 1956 bis 1958 /eifere er die Verhandlungen, die zur Gründung der Großen Freihandelszone hätten führen sollen. An dieser Aufgabe scheiterte er, weil er scheitern mußte, weil das englische Konzept der Wirklichkeit nicht mehr angepaßt war. Diese Einsicht der britischen Öffentlichkeit hat vielleicht verhindert, daß sein Scheitern den politischen Tod für ihn bedeutete.

Nach dem Wahlsieg der Konservativen im )ahre 1959 wurde Maudling zunächst Handelsminister: als solcher förderte er die Pläne nachhaltig, die zur Gründung der EFTA geführt haben. Als sich die Kleine Freihandelszone als politischer Fehlschlag erwies, mußte er das Handelsministerium abgeben, da sein Name doch zu sehr mit der Opposition zur EWG belastet war. Macmillan wollte aber auf die Talente des jovialen, in vieler Hinsicht ..unenglischen“ Politikers nicht völlig verzichten. Der Premierminister betraute Maudling mit dem Kolonialministerium; in dieser Funktion ließ er neue Verfassungsentwürfe für die zentralafrikanischen Gebiete (Njassaland, Nord-und Südrhodesien) ausarbeiten, die womöglich noch fortschrittlicher als die seines Vorgängers Macleod waren. Sein taktvolles Vorgehen in dieser heiklen Frage erntete ihm allgemeine Achtung, nur die weißen Ultras Zentralafrikas lernten ihn wegen seiner kompetenten Amtsführung hassen.

Trotz seiner freundlichen, von den Engländern als extrovertiert beschriebenen Art, an das gemütliche Wesen eines bayerischen Bürgermeisters erinnernd, ist Maudling kein Schwätzer. Seine Einstellung zu seiner Aufgabe kennzeichnet vielleicht am besten die Antwort, die er vor mehr ah einem }ahr Journalisten gegeben hatte, als sie nach seinen Absichten und Plänen als Kolonialminister fragten: ..Ich weiß von Kolonialfragen überhaupt nichts. In ein bis zwei Monaten werde ich alle Ihre Fragen beantworten können.“

Auch als er zum Schatzkanzler berufen worden war, konnte man nur wenig über seine wirtschaftspolitischen Pläne erfahren. Keinen Zweifel ließ er iedoch über seine feste Absicht aufkommen, eine Politik der wirtschaftlichen Expansion einzuleiten und gleichzeitig eine weitgehende Stabilität des Preisniveaus zu sichern. Jedenfalls wird in seiner Umgebung bezeugt, daß sein Urlaubsgepäck eine Menge Studienmaterial enthielt und daß der neue Steuermann der britischen Wirtschaft gewillt ist, die Grundübel der Volkswirtschaft, wie notorisch wiederkehrende Schwächen des Pfundes, ungenügende Investitionen der Industrie, die latenten Zahlungsbilanzkrisen sowie partiell auftretende Arbeitslosigkeit, systematisch mit gezielten Maßnahmen zu beseitigen versuchen. R. Z.

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