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Gerhard Schröder, nie ein Kind von Traurigkeit gewesen, hat also dieser Tage seinen 70. Geburtstag (7. April) mit Russlands Präsident Wladimir Putin in St. Petersburg nachgefeiert. Der deutsche Altkanzler ist ja so etwas wie der Vater aller "Putin-Versteher" (Stichwort: "lupenreiner Demokrat") in Politik und Medien, deren Bogen sich von weit links bis ganz rechts spannt.

Kluge Kommentatoren außerhalb dieses Bogens weisen darauf hin, dass Putins Stärke vor allem in der Schwäche Europas bestehe. So etwa exemplarisch NZZ-Chefredakteur Markus Spillmann: Als "autoritär, unaufgeklärt und restaurativ" bezeichnet er die Politik des Kreml-Chefs - was der Westen freilich lange nicht sehen habe wollen. Der Westen, wohlgemerkt, nicht nur Europa: Spillmann macht zurecht darauf aufmerksam, dass der Kern des Problems die "kontinuierliche Schwächung des transatlantischen Zusammenhaltes zwischen Europa und den USA" sei. Diese Entwicklung hat viele Ursachen auf beiden Seiten, auf die im Detail hier nicht weiter eingegangen werden soll. Was Europa betrifft, so hat sie jedenfalls in ganz wesentlichem Maß mit einer mittlerweile weit fortgeschrittenen Selbstvergessenheit zu tun.

Identitätspolitik und offene Gesellschaft

Und da sind wir wieder bei den "Putin-Verstehern". Diese setzen sich ja nicht nur aus Sowjetnostalgikern, fanatischen Anhängern totalitärer Regierungsformen, rabiaten Antiwestlern oder aber Opportunisten zusammen. Was auch besonnenere und differenzierende Beobachter Putin zugestehen oder gar positiv anrechnen, ist sein Bemühen, dem Land so etwas wie ein geistig-kulturelles Profil zu geben. Gewiss, das ist nicht unproblematisch. Identitätspolitik und die Idee der offenen Gesellschaft vertragen sich nur bedingt miteinander. Aber der Verweis darauf erspart nicht das Nachdenken über und Ringen um das, was ein Gemeinwesen im Innersten -jenseits formaler Spielregeln und zeitgeistigen common sense - zusammenhält. Der von politmedialen Eliten dekretierte Verzicht auf jede Form von ideengeschichtlicher Selbstvergewisserung untergräbt auf Dauer, was er zu schützen vorgibt: Liberalität und Pluralismus.

Das Amalgam aus Langeweile, Überdruss, spätmaterialistischem Hedonismus und Verängstigung, welches Europa über weite Strecken zunehmend kennzeichnet, bildet jedenfalls keine brauchbare Grundlage für eine gedeihliche Zukunft. Ein solcherart müder und saturierter Kontinent wird auch als Partner nicht ernst genommen, weder in Washington noch in Moskau.

"Unverkrampftes" Selbstbewusstsein

Was Europa vor allem anderen dringend bräuchte, wäre ein erneuertes Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Eines, das den kritischen Blick auf die Brüche und Abgründe der eigenen Geschichte nicht ausspart, aber dennoch nicht dabei stehen bleibt; das jedwede kolonialistische oder imperialistische Attitüde vermeidet, aber gleichwohl stolz ist auf die geistigen und kulturellen Errungenschaften; eines auch, dem jeder religiöse Triumphalismus fremd ist, das sich aber dennoch zu seinen religiösen, insbesondere christlichen Wurzeln und seiner entsprechenden Prägung bekennt.

Kurzum, es ginge um eine Haltung, die der frühere deutsche Bundespräsident Roman Herzog für sein Land einmal als "unverkrampft" eingemahnt hat (was ihm natürlich jede Menge Prügel von den üblichen Unverdächtigen beschert hat). Ein solches "unverkrampftes", selbstgewisses, sich selbst ernst nehmendes Europa würde auch verstärkt ernst genommen. Es könnte gleichermaßen Partner wie Widerpart für Russland sein, und es ließe von diesem selbstverständlich keinen Keil in die -bleibend notwendige -Partnerschaft mit den USA treiben. An der Ukraine wäre modellhaft zu veranschaulichen, worum es bei all dem geht und was dabei auf dem Spiel steht.

rudolf.mitloehner@furche.at

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