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Kammer ohne Opposition

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Nach zwei französischen Wahlsonntagen kann gesagt werden, daß das französische Volk mit dem Wahlzettel die Fortdauer seines Glaubens an den Heilbringer de Gaulle eindeutig bezeugt hat. Die Extremisten sind die Geschlagenen des Tages. Die Kommunisten haben mit 10 von 465 Sitzen ihre tiefste Sitzezahl seit Weltkriegsende erreicht, der Poujadismus hat sich in Luft aufgelöst, und die als Vertreter des „Geistes vom 13. Mai“ in Frankreich kandidierenden Offiziere der Algerienarmee kamen über Achtungserfolge nicht hinaus. Die einzigen Extremisten, mit denen in der künftigen Kammer gerechnet werden muß, dürften die 71 Abgeordneten Algeriens sein, sofern sie, wie das nach dem besonderen Charakter der „Wahlen“ dort drüben zu befürchten ist, bloße Sprachrohre der „Ultras“ sein werden.

Im zweiten Wahlgang wurden von den 24.091.545 Wahlberechtigten 18,019.152 gültige Stimmen abgegeben. 25,2 Prozent der Wähler enthielten sich der Stimme. Damit betrug die Wahlbeteiligung fast 75 Prozent gegenüber 77 Prozent im ersten Wahlgang. Im französischen Mutterland und auf Korsika stimmten 4,769.052 (26,47 Prozent) für die Union der neuen Republik. Die Konservativen Unabhängigen erhielten 4,250.035 Stimmen (23,64 Prozent). Die Kommunisten wurden von 3,741.384 (20,76 Prozent) gewählt. Von den übrigen Parteien erhielten die MRP 1,365.064 (7,58 Prozent), die Sozialisten 2,484.417 (13.79 Prozent) die Integration Algeriens eintreten, und die Abgeordneten aus zehn überseeischen Wahlkreisen hinzukommen. Von diesen zehn überseeischen Wahlkreisen sind vier erfolgreiche Kandidaten bereits bekannt. Es handelt sich um drei Sozialisten und einen Unabhängigen. Die Ergebnisse aus den übrigen sechs überseeischen Wahlkreise stehen noch aus.

Das entscheidende Ereignis ist die Dezimierung der kommunistischen Mandate: von ehemals 150 Sitzen blieben ihnen durch die Wahlarithmetik noch ganze 10, obwohl sie noch über

20 Prozent der Stimmen erhielten. Damit wird die neue französische Kammer praktisch eine Kammer ohne Opposition sein. Die drei Gruppen, die in ihr den Ton angeben, die Rechtsgaullisten der UNR, die „Unabhängigen“ und die Mehrheitssozialisten der SFIO, unterscheiden sich nur in Nuancen. Ziemlich gleichmäßig herrscht in ihnen jener kleinbürgerliche Nationalismus vor, dessen einziges Ziel die starre Aufrechterhaltung des Status quo (insbesondere in Algerien) ist. Es wird eine Kammer sein, die erst dann sich zu einer liberalen Politik jenseits des Mittelmeeres bekennen wird, wenn es zu spät ist.

Immerhin: auf das Parlament kommt es nun nicht mehr in erster Linie an. Man hat darum sagen können, daß de Gaulle zu seinen vielen anderen Aufgaben nun auch noch die übernommen hat, außerhalb der Kammer die Opposition zu bilden, die es innerhalb ihrer Mauern für einige Zeit nicht mehr geben wird. Die neue Kammer nämlich steht weiter „rechts“ als der General. ..Wenn de Gaulle seine persönlichen Auffassungen des Algerienproblems, die durchaus vernünftig sind, nun durchsetzen will, so wird er das gegen diese Kammer tun müssen. Darüber täuscht der auf weite Strecken nur allzu verbale „Gaullismus“ der in sie einziehenden Fraktionen nicht hinweg. Und die von ihm inspirierte Verfassung gibt de Gaulle ja durchaus dazu die Werkzeuge in die Hand.

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