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Liberal-Sem in Osterreich

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Überall und nirgends

Der Liberalismus als geschlossene geistig-politisch-wirtschaftliche Bewegung hat seine Kraft verströmt. Liberales Gedankengut hat in jene politisch-weltanschaulichen Systeme Eingang gefunden, die den Liberalismus von seiner Hochblüte bis in die Zweite Republik konsequent bekämpften: Sowohl die christlichdemokratische als auch die Programmatik des demokratischen Sozialismus sind in Kernsätzen liberal orientiert. So heißt es im Programm der ÖVP an prominenter Stelle: Das Ziel der ÖVP „ist es, dem Menschen, der für sie Träger unveräußerlicher Rechte ist, die Möglichkeit der freien Entfaltung seiner Kräfte in Unterordnung unter das Gemeinwohl zu geben“. — Das Wiener Programm der SPÖ beginnt mit folgendem Satz: „Die Sozialisten wollen eine Gesellschaftsordnung, also eine Ordnung der Lebensverhältnisse und der Menschen zueinander, deren Ziel die freie Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ist.“ — Inwieweit die politische Praxis der österreichischen Großparteien solchen freiheitlichen Grundsätzen zum Durchbruch verhelfen wäll und tatsächlich verhilft, steht auf einem anderen Blatt. Der freiheitsbewußte Staatsbürger wird diese Frage bei allen politischen Entscheidungen an die Spitze seiner Erwägungen stellen. Dabei wird es dem Realisten mehr auf Persönlichkeiten als auf Ideologie und Programm ankommen.

Die erbittertsten historischen Gegner des Liberalismus, die katholische Kirche und der Kommunismus, sind gleichfalls in einen Liberalisierungsprozeß eingetreten. Sätze wie „Zur Ausführung dieser Aufgabe (die Pflege der Theologie, Anmerkung des Verfassers) muß aber den Gläubigen, Klerikern wie Laien, die rechte Freiheit des Forschens, des Denkens sowie der Meinungsäußerung — in Demut und Festigkeit — zuerkannt werden, in allen Belangen, für die sie zuständig sind“ (Pastoralkonstitution 62), Bücher wie Ernst Fischers „Kunst und Koexistenz“ und Maßnahmen wie die Abschaffung des „Index“ oder die Enthaftung von Milovan Djdlas sind Beispiele unter vielen.

Umgekehrt ist das Parteiprogramm der eigentlichen Hüterin liberalen Gedankenguts in Österreich, der Freiheitlichen Partei, eindeutig neoliberal, besonders auf dem wirtschaftspolitischen Sektor: „Der Liberalismus vertrat die Anschauung, daß sich der Staat in nichts einzumengen habe und die Wirtschaft zur Gänze sich selbst überlassen müsse. Im Gegensatz dazu vertreten wir den Standpunkt, daß der Staat sehr wohl in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen muß, wenn dies notwendig ist, um Schäden für die Gesamtheit zu verhindern oder soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen.“ („Richtlinien freiheitlicher Politik“, 9.)

Diese wirtschaftspolitische Grund-•instellung der FPÖ und der Begriff der „sozialen Volksgemeinschaft“ zeugen von einem längst vollzogenen geschichtlichen Transformationsprozeß. Dabei konnte es, unter dem Einfluß anderer ideologischer Momente, sogar dazu kommen, daß die Programmatik der FPÖ ausgesprochen antiliberale Züge annahm So heißt es in Punkt 8 der „Richtlinien“ wörtlich: „Weiter bekämpfen wir es, wenn in den Schulen, wie überhaupt in der Öffentlichkeit Kunstrichtungen verherrlicht werden, die mit dem Schönheitsideal unseres Volkes und des Abendlandes im Widerspruch stehen und von der breiten Öffentlichkeit abgelehnt werden.“ Könnte sich die FPÖ nur endlich von allem „Völkischen“ und „Nationalen“ lösen — als rein liberale Partei hätte sie eine echte Funktion zu erfüllen!

Wenn mir also die Frage nach der Situation des Liberalismus in Österreich gestellt wird, so möchte ich antworten: Der Liberalismus als Gesinnung ist überall und nirgends; zuweilen vertritt ihn die FPÖ. In der ÖVP wird er manchmal zu stark, besonders dann, wenn er als Quasidogma den Zugang zu in der modernen technokratischen Gesellschaft notwendigen Maßnahmen versperrt. In der SPÖ ist der Wille zum Liberalsein zu schwach für eine Bewegung, die Ambitionen hat, zu einer staatstragenden zu werden. Am ehesten, so scheint mir, lebt liberales Gedankengut als eigenständige Gesinnung in den Herzen guter unabhängiger Journalisten. Von dorther möge es ungestört weiterwirken!

Dr. Peter Diem Wien

Liberale ohne Liberalismus

Der Liberalismus hat zwei nachweisbare Vorfahren: die Aufklärung und die Französische Revolution. Er entwickelte sich in dem Ursprungsländern seiner geistigen Vorfahren besonders kräftig — in England also und in Frankreich. Mitteleuropa hat die Französische Revolution gewissermaßen ausgelassen. Hier versuchte man mit Hilfe des Liberalismus die Evolution. Der Versuch gelang nur teilweise.

In Österreich begann in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Bedrängung des Liberalismus von mehreren Seiten her: vom Sozialismus in allen seinen Spielarten; vom Kapitalismus, der noch mehr sein Feind war; vom diesem nahe verwandten Feudalismus und Tra-diitionalismus. Und über allem wachte ein mehr oder minder ausgeprägter Absolutismus. Das war keine günstige Situation.

Eine wirklich eigenständige Gesinnung in Form einer weltanschaulich orientierten Bewegung war der Liberalismus nie. Er war idealistisch und romantisch, weltoffen und antiprotektionistisch gesonnen; seine Aufgabe erfüllte er in einer Kette praktischer Maßnahmen. Von Ideologien hielt er nichts.

Bei uns zumindest war er immer eine mehr oder weniger unverbindliehe, antiideologische Interpretation, die sich im wesentlichen auf die Idee vom freien Gesellschaftsvertrag und auf jene von den Menschenrechten stützte. So besehen war er keine ^eigenständige Gesinnung“ heutigen politischen Sprachgebrauchs.

Wie die „Situation des Liberalismus“ beute in Österreich ist? Nun, ich kann sie nur daran erkennen, daß ich einzelne, mehr oder minder liberal gesonnene Individualisten in verschiedenen Funktionen, Verbänden und Parteien wirken sehe. Liberalismus als politisch selbständig und selbsttätig gestaltende Kraft gibt es nicht.

Das mag man mancherorts vielleicht bedauern — aber es ist so.

In der Ersten Republik gingen die Liberalen bereits in nahezu allen Parteien auf: die meisten kamen über die Großdeutfichan zur NSDAP. Andere über den Heimatschutz und die „Vaterländische Front“ zur „anderen Seite“. Viele zogen sich gänzlich zurück. Zu den Sozialisten wanderte fast keiner.

Daran hat sich eigentlich nicht viel geändert. Nur zur SPÖ haben viele — und wiederum viele davon auf dem Umweg über die NSDAP — nunmehr gefunden. Ebenso viele, wenn nicht noch mehr, gingen in der ÖVP auf, was ihnen die dort betriebene Entidieologäserung erleichterte. Relativ wenige „in der Wolle echte“ Liberale fanden zur FPÖ. Zu einer eigenen politischen Zusammen-ballumg kam es nie und nirgends.

Sicherlich ist das für die österreichische Demokratie ein Schaden — der Liberalismus in seiner reinen Form ist ein demokratischer Urtyp. Aber das sind Überlegungen, die einer zunehmend fellachisierten Gesellschaft nicht mehr kommen. Sie wählt mit bleibendem Behagen stets „das geringere Übel“. Und da sich dlie Parteien im Typus diesem Zustand mehr und mehr angepaßt haben und darin noch fortfahren, gebe ich dem Liberalismus keine emsthafte Chance. Seine Substanz ist vom Strom der Zeit irgendwohin vertragen worden; wahrscheinlich kehrt sie in auch nur annähernd gleicher Form nie mehr zurück.

Daher gibt es in Österreich wohl noch viele Liberale. Aber einen Liberalismus, den gibt es nicht mehr.

Wolf in der Maur

Vieldeutig

Das Wort „Liberalismus“ ist durch seine Verwendung im politischen Kampf seit mehr als hundert Jahren vieldeutig und schillernd geworden, was seine Abwertung zur Folge hatte. In dieser Zeitspanne wurde der Liberalismus durch die Sozialdemokraten, durch die Christlichsozialen und schließlich durch die Nationalsozialisten bekämpft. Diese aus allen Richtungen geführten Angriffe haben bewirkt, daß heute die meisten Österreicher unter „Liberalismus“ und „liberal“ etwas Negatives empfinden, ohne daß sie sich über den Inhalt des Begriffs genau im klaren wären. Die noch heute gelegentlich wachgehaltene Erinnerung an den extremen Wirtschaftsliberalismus, den „Manchester-Liberalismus“, trägt darüber hinaus dazu bei, daß ein liberales Bekenntnis in der Zweiten Republik nicht populär ist und daher auch keine Resonanz in breiten Bevölkerungsschichten findet.

Andernteils möge keine politische Richtung den politischen Gegner nach den Auffassungen beurteilen, die die politischen „Vorfahren“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts vertreten haben. Weder das kommunistische Manifest noch die Auffassungen Pius' IX. können die Grundlage für die Beurteilung heutiger politischer Richtungen sein.

Der politische Liberalismus, der im vorigen Jahrhundert auch in Österreich der Vorkämpfer der Grund-und Freiheitsrechte und des modernen Rechtsstaates war, hat sich hier nach der Durchsetzung seiner wichtigsten und heute zum Allgemeinbesitz gewordenen Anliegen immer mehr zu einer mehr kulturell und wirtschaftlich als politisch betonten

Geisteshaltung von Einzelpersonen zurückgebildet, die daher auch in der Regel jegliche Bindung an politische Ziele vermissen läßt.

Was von der liberalen Idee vergangener Zeiten bleibenden Wert hat, wird in Westeuropa als Ausdruck einer eigenständigen Gesinnung empfunden. Ungeachtet der besonderen Verhältnisse in Österreich ist somit der Liberalismus als Weltanschauung und politische Gesinnung aus dem politischen Leben der europäischen Nationen nicht wegzudenken. Die ewig offene Frage nach dem Verhältnis des einzelnen zum Staat und zur Gemeinschaft befriedigend zu lösen, ist eine politische Aufgabe, die immer wieder neu gestellt wird. Diese Aufgabe ist auch in Österreich aktuell. Die Freiheitliehe Partei Österreichs siebt es jedenfalls als ihre Aufgabe an, die positiven Belange des Liberalismus — Freiheit, Rechtsstaat, moderne Bildungsgesellschaft — zu vertreten, ohne sich mit seinen Fehlentwicklungen identifizieren zu wollen. Denn die Erhaltung und Festigung der Freiheit bleibt eines der vordringlichsten Anliegen für alle Zukunft. Abgeordneter Friedrich Peter Bundesparteiobmann der FPÖ

Toleranz

Wer über den Liberalismus etwas sagen will, sollte zuerst einmal klarmachen, was er unter „liberal“ versteht. Die großen Lexika enthalten Definitionen dieses Wortes vom politischen, wirtschaftlichen und psychologischen Standpunkt aus. Um uns damit nicht zu lange aufzuhalten: Liberal ist einer, der genügend viel Toleranz und Vorurteilslosigkeit besitzt, um mit Andersdenkenden lei-densahaftslos diskutieren zu können, auch wenn er deren Ansichten verwirft. Ein typischer Fall von nichtliberaler Denkweise ist es dagegen, wenn man Gespräche mit irgendwelchen Leuten nur deshalb ablehnt, weil die Betreffenden zu einer Gruppe (Nation, Religion, politische Partei usw.) gehören, die man blindlings verachtet.

Joseph II. von Österreich war ein liberaler Monarch zur Zeit, als man in Frankreich das Königtum in der Erwartung stürzte, daß man auf republikanischem Weg dem Ideal von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit rascher näherkommen werde. Eineinhalb Jahrhunderte nach dem Erlaß des Josephinischen Toleranzedikts senkte sich über Mitteleuropa die Nacht des Faschismus und über Osteuropa die des Stalinismus, und erst nach 1945 begann das Wiedererwachen eines gewissen Liberalismus. Österreich hat an dieser Renaissance liberalen Denkens natürlich ebenso wie die anderen Staaten teilgenommen, machte aber auch gleichfalls das Auf und Ab größeren oder geringeren Liberalismus mit. Zu den wichtigsten Symptomen eines Durchbruchs liberaler Denkweise seit 1945 gehört die Gründung und das Wachstum der Vereinten Nationen und ihrer Tochterorgandsationen, das Zustandekommen der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (die leider noch nicht zu einer verbindlichen Konvention geworden ist), ferner Beschlüsse der Vereinten Nationen hinsichtlich Einleitung von Verhandlungen mit dem Endziel einer allgemeinen und vollständigen Abrüstung und last, not least, das Vatikanische Konzil. Den Fortschritten in der Richtung Liberalismus stehen auch Rückschritte gegenüber. Im Weltmaßstab sind sie unter anderem recht deutlich in der Bildung oppositioneller Gruppen gegen die Rassenintegration und gegen die Vereinten Nationen in den USA, im Anwachsen der rechtsradikalen NPD in Westdeutschland und, unvergleichlich ärger und gefährlicher noch, in der Popularität eines linken Gegenstücks zu Adolf Hitler in der Person Mao Tse-tungs. In Österreich spürt man den antiliberalen Zug der Zeit unter anderem auch an den Schwierigkeiten, mit denen die Gesellschaft von heute zu kämpfen hat, um auf dem Rechtsweg mit den noch frei umherlaufenden Massenmördern der Hitler-Zeit fertig zu werden oder an den finanziellen Nöten der Zeitungen und Zeitschriften mit ausgesprochen liberaler Tendenz. Auch im Verkehr der politischen Parteien untereinander ist man heute weniger liberal als zu den Zeiten, da an leitenden Posten der Politik Männer standen, die durch gemeinsames Schicksal im Widerstand gegen den Faschismus einander nähergekommen waren.

Am gefährlichsten erscheint mir unter den antiliberalen Strömungen der Politik, in Österreich ebenso wie im Ausland, das Anwachsen einer Geistesrichtung zu sein, die man als „Neomilitarismüs“ bezeichnen könnte. Anders als der von Eroberungen träumende Militarist des prä-atomischen Zeitalters ist der Neo-militarist vom heute selbst gar nicht mehr aggressiv, aber er setzt den

Angriffsgeist der anderen ganz dogmatisch als selbstverständlich voraus und meint daher, daß auch die europäischen Staaten weiterhin ebenso gerüstet sein sollten, wie es die Israelis gegen die auf ihre Vernichtung bedachten Nachbarn tatsächlich sein müssen. So kommt es, daß wahrscheinlich die Majorität der Politiker, im Osten wie im Westen, der Meinung sind, daß dem Abrüstungsverlangen der Vereinten Nationen schon Genüge geleistet würde, wenn man nur einmal die

Atomwaffen abschaffen und vergessen könnte, um dann einander wieder mit konventionellen Waffen bekriegen zu können. em. Univ.-Prof. Dr. Hans Thirring Wien

(Wird fortgesetzt)

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